von Jasper
Dort, unter jenem blühenden Ahornbaum – am Brunnen sitzend und die Sonne genießend – sah er sie zum letzten Mal. Lange fragte er sich, ob er etwas hätte ändern können, wenn er damals mehr mit ihr geredet hätte, sich ihr angenähert und sie gelehrt hätte zu verstehen. Vielleicht hätte er ihr helfen können, sie retten können vor ihrer Furcht, deren Samen er gesät hatte. Unwissend, dass er es tat und dennoch der einzig Schuldige. Wie oft in den vergangenen Jahren hatte er gebetet, einen Gott angefleht an den er nur aus Egoismus glaubte, und gehofft, dass die Zeit irgendwie zurückgedreht werden konnte.
Doch obwohl er inzwischen gelernt hatte, dass viel mehr möglich war als er einst geglaubt hatte – die Vergangenheit zu ändern zählte nicht dazu.
„Blue!“
Ertönte Liekos Stimme aus dem Nebenzimmer. Er musste irgendwann, während Blue mal wieder in seinen Gedanken verschwunden war, mit dem Klavierspiel aufgehört haben und zupfte nun an der alten Gitarre herum, die er vor einigen Monaten auf der Straße gefunden hatte. Wahrscheinlich wollte er Blue wieder dazu überreden mit ihm zu singen.
„Was denn?“, rief Blue zurück.
„Komm mal her!“
„Ich will nicht singen!“
Liekos Lächeln war deutlich in seiner Stimme zu hören: „Darum geht es doch gar nicht.“
Skeptisch runzelte Blue die Stirn.
„Was willst du dann?“
„Komm einfach, dann sag ich’s dir“
Blue seufzte entnervt. Er hatte wirklich keine Lust zu singen. Andererseits wollte er auch nicht weiterhin seinen Gedanken nachhängen, er merkte selber, dass ihm das nicht guttat.Mit einem zweiten Seufzer manövrierte er seinen Rollstuhl aus der kleinen Ecke zwischen Fenster und Bücherregal in die er sich in letzter Zeit immer häufiger zurückzog, und rollte zu Lieko hinüber.
„Also, was ist jetzt?“
Lieko antwortete nicht sofort, vollkommen fokussiert auf das Gitarrenspiel, dass ihn umhüllte wie eine Duftwolke. Für einen Moment war Blue kurz davor auszurasten und Lieko anzuschreien, er solle gefälligst seine Zeit nicht verschwenden. Doch er fing sich noch im selben Moment. Das ließe ihm nur die Möglichkeit, wieder in die Ecke mit seinen Gedanken zu verschwinden, und langsam bekam er die schleichende Vermutung, dass das einen schlimmeren Einfluss auf ihn hatte als die Drogen damals.
Außerdem konnte Lieko nichts dafür, dass Blue so gereizt war. Er hatte zu wenig geschlafen, wie fast jede Nacht in der letzten Woche. Es war die Kälte des Winters, redete Blue sich ein, nichts weiter. Noch war er nicht bereit, sich der Wahrheit zu stellen.
© Jasper 2022-08-27