von Ellen Thea
1.
Bei mir zuhause lebt ein Gewitter, aber eine Ruhe vor dem Sturm gibt es nicht. Der Nieselregen ist stets beständig, er zeigt sich in wehmütigen Selbstgesprächen und gereiztem Geschirr einräumen. Ab und an donnert es ein wenig, eine Tür wird zugeschlagen, ein Vorwurf geschrien, statt gemurmelt. Ein wenig Donner gehört dazu, das macht noch kein Gewitter.
Wenn der Sturm kommt, kommt er mit allem, was er hat. Ängste, die dich nachts insgeheim wach halten, drücken dich jetzt öffentlich zu Boden. Trifft dich ein Blitz, bleibt er in deiner Brust stecken, wo du ihn jahrelang mit dir herum trägst, während die von Kindertränen durchnässte Tapete schimmelt.
Bei mir zuhause kommt die Ruhe vor dem Sturm verspätet. Mit großen Augen sieht sie mir beim ertrinken zu. Ignoriert, gebannt vom Donner über uns, jeden meiner Hilfeschreie. Nachdem das Schlimmste vorbei ist und der Nieselregen mit angehaltenem Atem und leisem Weinen unter Bettdecken wieder einkehrt, versucht die Ruhe mich in den Arm zu nehmen.
Bei mir zuhause leben zwei Gewitter. Mit feuchten Augen und trockenen Bemerkungen lasse ich es regnen. Sehnsüchtig darauf bedacht, die Ruhe anzulocken, nur um sie mit einer hasserfüllten Tatsache wieder von mir weg zu spülen. Doch die Ruhe wehrt sich weder gegen die Verbitterung jahrzehnte langer Orkane, noch gegen die verzweifelten Flutwellen aus meiner Brust. Ohne Partei zu ergreifen, verrät sie beide Seiten.
Bei uns zuhause lebt die Ruhe weder vor noch nach dem Sturm. Sie existiert nur, solange sie das Gewitter betrachtet. Fasziniert wie furchtsam. Aus Liebe wie aus Angst.
2.
Mit geübten Handgriffen verstecke ich mein Gesicht. Streife ab, wer ich bin und verliere mich in der, die ich sein will. Schauspielern ist auch nur ein Euphemismus fürs Lügen. Manchmal glaube ich, eins mit meiner Rolle zu werden.
Meine beste Freundin öffnet ihre Arme und für mich den Vorhang. Achtzehn Jahre Erfahrung lassen einstudierte Texte authentisch wirken. Sie wird nie wissen, wie talentiert ich bin. Ich bin so gut, dass ich manchmal die Bühne vergesse.
Arrogante Menschen sind oft leichtsinnig und noch öfter Schauspieler. Ein bisschen Wahrheit, nach drei Gläsern Wein, hätte mich beinahe verraten. Mein Publikum sind meine Mitspieler. Entdecken sie die Scheinwerfer, werde ich unbesetzt.
Das Stück ist zu Ende, der Applaus bleibt aus. Ich verneige mich vor leeren Reihen, während ich die Kritiker schon flüstern höre. Zuhause wartet, wer ich bin.
Ich habe den Regen nicht vermisst.
© Ellen Thea 2022-06-14