von Ferdinand Maier
„Die Russen kommen, die Russen kommen“ schallte es gleichzeitig aus mehreren Richtungen. Diese Rufe ertönten vor mittlerweile nicht ganz 70 Jahren in Heinreichs, einer damals vierhundert Seelen-Gemeinde im oberen Waldviertel. Diese Ortschaft befand sich in der russischen Besatzungszone.
Ausgestoßen wurden diese Rufe von den Kindern, die sich vom Frühling bis in den Herbst beinahe die ganze Zeit auf der Straße aufhielten. Hier wurde Nachlaufen, Fußball und um die Wette laufen, gespielt. Auch auf den Bäumen wurde herumgekraxelt. Wichtig war es nur, sich im Freien aufzuhalten. Damals gingen wir noch nicht zur Schule.
Wenn diese Rufe zu hören waren, sah man aus einiger Entfernung ein oder zwei LKWs mit Führerhaus und Ladefläche mit Plachen. Sie kamen in unregelmäßigen Abständen. Im Führerhaus saßen der Fahrer und der Wagenkommandant. Dieser besuchte den Ortsvorsteher. Diese Besuche dauerten einige Stunden. Die Soldaten gingen inzwischen auf die Jagd.
„Die Russen kommen“ war gleichzeitig das Signal, dass alle Mädchen nach Hause zu laufen hatten. Sowie alle Hühner, Enten und Gänse wurden in die Stallungen getrieben. Soweit halt möglich und genug Zeit vorhanden war, bevor die LKWs da waren. Wir, die Buben wurden von den Soldaten in Ruhe gelassen und konnten daher unbehindert weiter herumlaufen. Jedoch war die Neugier so groß, dass wir die Besucher aus sicherer Entfernung beobachteten.
Unsere Eltern erzählten uns, dass die Mädchen von den Soldaten belästigt wurden. Daher war man vorsichtig und brachte sie in Sicherheit. Das war sicher auch gut so. Selbst wahrgenommen haben wir diese Belästigungen jedoch nicht.
Die Hühner bzw das andere Getier wurde mit bloßen Händen gefangen und mitgenommen. Man erzählte uns, dass sie sicher in den Kochtöpfen landeten.
Trotz der Besatzung war das für uns Kinder eine schöne Zeit. In den Sommerferien kamen unsere Cousinen und Cousins für mehrere Wochen aus Wien auf Besuch. Mit ihnen kamen Onkels und Tanten. Das war dann die Zeit, wo wir gemeinsam spielten und in den Wald gingen um Schwammerl zu suchen und Heidelbeeren und Preisbeeren zu pflücken.
So verging Sommer um Sommer, bis dann der Schulbeginn da war. 1954 war es dann so weit – ich ging dann vier Jahre in Heinreichs in die Volkschule. Diese Zeit von meiner Geburt 1948 bis zum Schulbeginn 1954 fiel in die Besatzungszeit. Diese dauerte zehn Jahre von 1945 bis 1955.
Beendet wurde sie mit der Unterfertigung des Staatsvertrages und der feierlichen Erklärung des Österreichischen Außenministers Leopold Figl „Österreich ist frei“.
Ich erinnere mich an diese schöne Zeit immer dann, wenn am jeweiligen 15. Mai die Unterfertigung des Staatsvertrages gefeiert wird und der Bundespräsident das feierliche Wort ergreift.
© Ferdinand Maier 2020-05-23