von Ulrike Sammer
Meine Mutter war eine der ersten weiblichen Absolventinnen der Handelsakademie und sie war stolz auf ihre Ausbildung, die in den 20er-Jahren noch keineswegs selbstverständlich war. Sie war danach in einer Firma sehr geschätzt und arbeitete gerne. Als sie meinen Vater heiratete, sollte alles anders werden. Mein Vater empfand es zeitlebens als diskriminierend, wenn es seine Frau „nötig“ hätte zu arbeiten. Niemand sollte annehmen, dass er seine Familie nicht ernähren kann und so verbot er meiner Mutter einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Und dazu hatte er das Recht!
Bis 1975 gab es in Österreich den Begriff „Familienoberhaupt“. Ich finde es schrecklich, wenn ich bedenke, dass ich von dieser Auffassung geprägt wurde.
Meine Mutter jammerte zwar nie (zumindest nicht vor den Kindern), aber irgendwie war es merkbar, dass sie das Recht, dass ein Ehemann die Berufstätigkeit seiner Frau unterbinden kann, als sehr unfair empfand.
Aber auch ich selbst bekam die unterschiedlichen Rollenerwartungen von Anfang an zu spüren. Natürlich wurde von meinem Bruder, dem „Stammhalter“ mehr erwartet. Die gesellschaftlichen Normen in bürgerlichen Kreisen in der Stadt waren ganz klar: eine strikte Trennung von Arbeitsstätte und Wohnung. Die Arbeit des Mannes wurde wesentlich höher bewertet, da er durch seine Tätigkeit Geld verdiente. Das verschaffte ihm entsprechend Ansehen und Macht.
Und so war es auch in unserer Familie! Man erwartete von mir, dass ich in meine Rolle, sich vor allem um die Belange von Mann und Kindern zu kümmern, hineinwachse. Meine Fähigkeiten waren dabei nicht so wichtig. Mein Bruder sollte stark und durchsetzungsfähig werden. Leider entsprach beides nicht unseren Anlagen. Diese konventionellen Rollenklischees wirkten sich bei mir wie ein Schuss nach hinten aus: in späteren Jahren, nach meinen Universitätsstudien engagierte ich mich sehr für emanzipatorische Themen und Chancengleichheit. Vor allem mein Studium der Sozialpädagogik und später der Psychologie öffneten mir die Augen, wie die gesellschaftlichen Zwänge und mein typisch weiblich, künstlich gedämpftes Selbstwertgefühl zusammenhängen. Der Rückstau der nicht gelösten Probleme war Anfang der 70er-Jahre so groß, dass wir (mein Mann und ich) mit viel Elan um neue Lebensformen kämpften und schließlich eine der ersten Wohngemeinschaften in Wien gründete. Wir und unsere Freunde überdachten unsere Lebensentwürfe, das, was wir sollten und das, was wir wirklich wollten und räumten viel Verkrustetes aus dem Weg. Welche Befreiung! Nun war ich nicht mehr „das Anhängsel eines Mannes“, sondern ließ es nicht mehr zu, dass man mich und meine Bemühungen „übersah“ – auch wenn es mir nicht immer gelang.
Und was hat das mit meiner Mutter zu tun?
Es wurde mir klar, dass man das Schweigen über Ungerechtigkeiten nicht resignativ belassen soll. Ich war es meiner Mutter schuldig, ihren geheimen Wunsch nach mehr Wertschätzung umzusetzen.
© Ulrike Sammer 2021-03-09