von JanGroenhain
Vor etlichen Jahren war ich abends am Weg, um einen Freund im Krankenhaus zu besuchen. Ich hatte eine Flasche guten Weins in eine dafür vorgesehene schlanke Geschenktasche aus Karton gegeben und wollte ihm damit meine Aufwartung machen. Schnellen Schrittes, denn es war schon recht spät, eilte ich durch die Empfangshalle des Spitals, den Karton am Henkel gefasst, locker schwingend. Da gab der Boden der Tasche unter dem Gewicht des Inhalts spontan nach und ich hielt nur mehr den leeren Karton in der Hand. Die Flasche jedoch eilte, der Schwerkraft folgend, unverzüglich dem Boden entgegen. Der war hart genug, um die Flasche mit einem lauten Knall wehrlos darauf zerschellen zu lassen. Der gute rote Tropfen spaltete sich in tausende solche, zahllose grüne Scherben verteilten sich augenblicklich im Umkreis. Eine ungeplante Bescherung, für mich und den Ort des Geschehens. Erschrocken eilten zwei Angestellte herbei. Während die eine mir beim Aufsammeln der Scherben half, war die andere schnell mit Kübel und Putzlappen zur Stelle.
Rasch waren die Spuren des Malheurs beseitigt, ich bedankte mich umfangreich, entschuldigend. Und stellte fest, dass ich nun ohne Geschenk dastand. Da es schon zu spät war, um Ersatz zu beschaffen, eilte ich, lediglich mit dem Flaschenkopf samt Korken ausgestattet, ins Krankenzimmer. Mein Freund anerkannte das mitgebrachte Beweisstück, bemerkte meine bespritzte Hose und lächelte gequält, schmerzbedingt. „Vielleicht bringt es ja Glück“, meinte er als er sah, wie zerknirscht ich dreinschaute.
Er genas rasch. Und spricht mich heute noch darauf an, wenn ich ihn sehe, besteht darauf, dass ihm das Glück gebracht hätte.
Als ich später einmal mit dem Kopf gegen die Glasscheibe der Wohnzimmertür knallte, war auch mir das Glück hold. Das Glas zersplitterte tausendfach, meiner Stirn entwuchs gottlob nur eine dicke Beule. Weniger angenehm war es, als ich einmal am Strand barfuß in eine Glasscherbe trat. Blut quoll heraus und die folgende Entzündung war schmerzhaft.
Ich liebe Fliesen. Vor allem südländische, aus Italien oder Spanien, speziell solche, die sich aus vielen kleinen Teilen zusammensetzen. Im vor mehr als 20 Jahren gebauten Haus gibt es viele davon, in verschiedenen Farben. Am Ende der Verlegearbeit blieben immer Randstücke und Scherben übrig, die auf der Deponie landeten. Aus Resten aller verbauten Fliesen habe ich damals ein gerahmtes, buntes Mosaik gemacht.
Wenn wir heute auf das Weltgeschehen, das Klima und auf das, was alles rundherum passiert blicken, haben wir manchmal das Gefühl, vieles liege in Scherben.
Sind Scherben nur ein Zeichen von Zerstörung? Oder braucht es zuerst Scherben, um etwas Neues daraus entstehen zu lassen? Können Scherben tatsächlich Glück bringen?
Jedenfalls ist es wert, in Scherben nicht nur das Negative zu sehen, sondern auch Chancen. Scherben vertreiben das Böse, heißt es sprichwörtlich. Neu zusammengefügt kann daraus tatsächlich Gutes entstehen.
© JanGroenhain 2023-01-12