von Sandro Kaspar
Es war unsere erste Autostopp-Reise, und dies gleich ins Ausland! Ich, 19, und Uli, drei Jahre jünger, beschlossen hoffnungsfroh, in Richtung Stuttgart zu reisen.
Anfangs brauchte es echte Überwindung, mit ausgestrecktem Daumen am Strassenrand zu stehen und zu hoffen, dass uns jemand mitnimmt. Doch es klappte nicht schlecht. Die Grenze zu Deutschland überquerten wir zu Fuss. Auf einen Schlag war alles anders. Ortstafeln, Wegweiser, Sprache – alles neu für uns, eben Ausland. Uli befestigte an seinem Rucksack eine Landesfahne mit Schweizerkreuz, was ich furchtbar peinlich empfand, doch er wollte sie nicht entfernen. Bald lernten wir etliche nützliche Regeln, zum Beispiel, dort zu winken, wo die Autos rechtzeitig und gefahrlos anhalten konnten.
Die Gespräche mit den Fahrern waren meist recht interessant und manchmal sogar lehrreich. Es gab allerdings auch Fahrer, die stumm wie ein Fisch waren und einfach nur geradeaus guckten. Oder solche, die erklärten, am besten käme man vorwärts, wenn man regelmässig 80 km/Stunde fahre.
Bei einem Fahrer begriffen wir lange nicht, was mit ihm war. Er sprach kein Wort, war keineswegs unhöflich, eher neutral. Die linke Hand führte das Steuerrad, die rechte Hand lag auf seinem Schoss und wackelte ständig. War er krank? Hatte er Parkinson? Wie peinlich war das für uns als klar wurde, dass er während dem Fahren tatsächlich ununterbrochen onanierte. Uli und ich tauschten die Blicke und verliessen bei nächster Gelegenheit schleunigst diesen Wagen.
Es war bereits finster, als wir in einem Dorf ankamen, dessen Namen mir entfallen ist. Wir hatten kein Geld, um in einem Hotel zu übernachten. Deshalb begaben wir uns auf den Polizeiposten, um dort unser Anliegen anzubringen. Der Beamte zeigte Verständnis und führte uns zu einem Gebäude, schloss das Tor auf und dahinter kam ein dämmriger, grosser Raum zu Vorschein.
«Hier könnt ihr übernachten», erklärte der Polizist, «Es liegen genug Matratzen und Decken herum. Ich schliesse jetzt die Türe ab und öffne sie Morgen früh wieder. Dies zu eurer Sicherheit. Man weiss nie, was sonst nachts passieren könnte». Und weg war er.
Eingesperrt! Da standen wir nun ziemlich perplex da. Als sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten bemerkten wir, dass bereits einige Männer auf Matratzen lagen und schliefen. Strube Männer mit unrasierten Bärten, zerfurchten Gesichtern, zum Teil zerrissenen Kleidern. Wir waren im Schlafsaal von Landstreichern und Vagabunden gelandet, wie man sie damals nannte. Es war für uns nicht einfach, auf den unebenen Matratzen bequem zu liegen. Das Schlimmste aber waren die Wolldecken, denn diese stanken fürchterlich. Ein Mix von Schweiss, Urin, Rauch, Dreck, Schnaps, Erbrochenem, drang bei jedem Atemzug in unsere Nasen ein. Irgendwann schafften wir es trotzdem, einzuschlafen.
Der scheussliche Geruch dieser Wolldecken hingegen blieb bis heute in unserem Gedächtnis haften. Genau so, wie das erlebte Abenteuer.
© Sandro Kaspar 2021-02-24