Ich erinnere mich, wie geladen sich die Luft in meinem Apartment anfühlte, sobald Gabriel dieses letzte Erlebnis erzählt hatte. Es war, als hätte ich in einen tiefen Abgrund geblickt. Als hätte ich die Büchse der Pandora geöffnet. Jedoch schien sich in dieser letzten Geschichte, genau wie in der griechischen Mythologie, auch die Hoffnung zu verbergen.
Eine Weile saßen wir nur da und schwiegen. Mein Tee war ausgekühlt und der Geruch von Anis verschwunden.
Schließlich brach Gabriel die Stille und begann: „Ich muss dir ehrlich sagen, ich habe nicht die leiseste Ahnung, ob mich während dieser Schlafparalysen tatsächlich die Toten, mein Großvater oder sonst etwas besucht hat. Ob sie wirklich sind“, er pausiert. „Oder ob letztendlich nicht doch immer nur ich selbst es bin. Meine Gedanken. Meine Worte. Mein Unterbewusstsein.“
Seine Worte hallten wie ein unhörbares Echo in meiner Wohnung nach. Tropfen prasselten wild gegen die Fensterscheibe. Der Regen hatte nicht nachgelassen. Plötzlich gingen die Lichter aus. Ich sprang sofort auf. Gabriel blieb wie erstarrt sitzen und sah mich erwartungsvoll an.
Hatten seine Erzählungen etwas hierher eingeladen? Waren seine Worte eine lodernde Flamme in einer finsteren Welt gewesen? Ein Leuchtfeuer, dessen Licht alle Insekten aus der Ferne anzog?
Wir warteten ein paar Augenblicke in der Dunkelheit.
Aber es passierte nichts.
Die Lichter sprangen schlagartig wieder an. Es musste ein kurzer Stromausfall gewesen sein. Wir atmeten beide erleichtert aus und lachten.
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Ich denke oft an jenen regnerischen Nachmittag und frage mich, ob Gabriel damit recht hat und wir selbst der Nachtalb sind. Dass wir uns selber in der Dunkelheit zuflüstern. Und dass es nur Träume sind, die sich in diesem erstarrten Zustand in Gabriels Wahrnehmung schieben. Aber vielleicht ist das auch die Erklärung, die mir lieber ist. Die mich nach all seinen Erzählungen nachts schlafen lässt.
© Sebastian Krebitz 2021-07-16