Die Schlange der Rache

Ulrike Sammer

von Ulrike Sammer

Story

Mein Mann und ich gingen (bzw. fuhren) gerne auf Streifzüge im oberösterreichischen Mühlviertel. Ist diese etwas raue Gegend doch auf Granit gebaut und Stein in allen möglichen Formationen als Naturdenkmäler und als Baustoff der alten und malerischen „Steinbloss- Häuser“ ist überall zu finden. Hier gibt es auch seit altersher besonders viele Steinmetze.

Reichenthal ist eine Marktgemeinde in Oberösterreich, auf 683m Höhe im oberen Mühlviertel. Durch den Ort fließt der Kettenbach, der nicht wie im Mühlviertel üblich zur Donau, sondern zur Moldau nach Tschechien fließt. Hier verläuft also die Wasserscheide. Über einen Saumpfad wurde jahrhundertelang Salz nach Böhmen transportiert.

In der kleinen Ortschaft Reichenthal befindet sich eine Kirche aus dem 19. Jahrhundert, die so groß ist, wie man es hier nie vermutet hätte. Da sie die größte Kirche des Mühlviertels ist, wird sie auch „Mühlviertler Dom“ genannt. Ihre Errichtung ist ein Kuriosum an sich, denn zu Ende des vorvorigen Jahrhunderts entschloss man sich, statt der kleinen, bereits vorhandenen Kirche eine größere zu erbauen. Da man aber origineller weise die kleine Kirche als Baugerüst verwendete und die neue rundherum errichtete, bekam sie Ausmaße einer Kathedrale.

Die meisten Besucher kommen aber jedoch wegen einer absoluten Rarität: der Kanzel der sieben Hauptsünden. Der Fuß der Kanzel ist ein sehr naturalistisch dargestellter Baum, um den sich eine siebenköpfige Riesenschlange windet. Die sieben Häupter stellen die Totsünden Zorn, Unmäßigkeit, Neid, Stolz, Unkeuschheit, Trägheit und Habsucht dar und zwar jeweils in Form eines menschlichen Gesichtes. Sechs Sünden werden durch Männer dargestellt, nur der Stolz ist eine wunderschöne Frau. Soll man sich einen Reim darauf machen? Die Gesichter sind jedenfalls so sprechend, dass man annehmen kann, dass der Künstler bestimmte, damals lebende Vorlagen hatte. Bei einem Gesicht ist diese Vermutung sogar dokumentiert. Es war nämlich so, dass der Bauherr der neuen Kirche ein besonders unleidlicher Pfarrer war, der seine Architekten, Künstler und Handwerker unentwegt verärgerte und schamlos ausnützte. Etliche der Beschäftigten verließen im Streit den Schauplatz. Der Schöpfer der Kanzel aber rächte sich: Er verlieh der „Unmäßigkeit“ eindeutig das Gesicht des Pfarrers, den ab nun der Spott sicher war.

Im Friedhof neben der Kirche steht eine der größten Rotbuchen Oberösterreichs. Sie ist ein halbes Jahrtausend alt.

Sehr sehenswert ist auch dasMühlenmuseum Reichenthal-Hayrl: Es befindet sich am Beginn des 10-Mühlen-Wanderweges. Im Mittelpunkt des Museums befindet sich die Hausmühle mit der Müllerstube, die einen Blick in das einstige Handwerk und Müllerleben ermöglicht. Der anschließende Mühlenweg von 15,5 km Länge führt an einer Vielzahl von Mühlen vorbei und ist landschaftlich überaus reizvoll. Mein Mann und ich haben ihn jedenfalls sehr genossen.

© Ulrike Sammer 2021-12-01

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