von Philip Blanke
Ich öffne langsam meine Augen. Ich liege nicht in meinem Bett und auch nicht in meinem Schlafzimmer. Ohne es im geringsten zu merken, liege ich sehr benommen im Klinikum Fulda, unbewusst wie viele Tagen ich hier schon in Folge aufgewacht bin und einen ähnlichen Satz von meiner Mutter gehört habe „Philip du hattest einen Autounfall und wurdest schwer verletzt. Ich bin zugleich tief schockiert, aber auch unglaublich froh, dass es dich noch gibt.“ ich erinnere mich schemenhaft an den vorigen Abend, welcher inzwischen ein vierundzwanzig-stündiges Koma und eine unbekannte Zahl an Tagen der Bewusstlosigkeit entfernt liegt. Ich hatte mich auf dem Geburtstag einer Klassenkameradin extrem betrunken aber mehr weiß ich nicht. Die dritte Sommerferienwoche hat gerade begonnen und ich liege, mir unbewusst, dass ich Ferien habe, in einem Krankenhausbett in Fulda. Ich bekomme mitgeteilt, dass in ein paar Tagen eine Operation an meinem gebrochenen Bein durchgeführt wird, und werde gefühlsmäßig nur kurz darauf in einen Operationssaal geschoben. Die Tage, bestehend aus Krankenhausessen, allen möglichen Fernsehprogrammen und einer bitteren Flüssigkeit serviert in Plastikbechern der Größe eines Schnapsgläschens, welche sich im Nachhinein als Morphium entpuppte, verstreichen die Tage mit zunehmendem Bewusstsein wieder langsamer und ich realisiere mehr und mehr, für was ich mit verantwortlich bin. Ein guter Freund von mir erzählt mir im Telefonat, wie ich ihn mitten in der Nacht im Telefonat darum bat mich von dem Geburtstag abzuholen, was er unerlaubt mit dem Auto seines Vaters tat. Beeindruckt von dem 5er BMW blieb es nicht nur beim Abholen und wir luden andere zu einer Rundfahrt ein. Nachdem ein weiterer Freund und dessen Freundin zugestiegen waren kam es kurz vor dem Ende der Spritztour zu dem schweren Unfall, bei welchem er bei hohem Tempo die Kontrolle über den Wagen verlor, welcher von der Fahrbahn abkam und mit dreistelligen Stundenkilometern frontal gegen einen Baum prallte. Als wäre das nicht genug überschlugen wir uns dann noch dreimal. Alle vier Passagiere wurden mit Helikoptern von der Unfallstelle geborgen. Der Fahrer und die Beifahrerin hinter ihm haben den Unfall erstaunlich unbeschadet überstanden, was es für mich in dieser Lage noch schlimmer macht, das der letzte Beifahrer hinter mir, nach inzwischen mehreren Tagen immer noch im Koma liegt. Wie ich erst ein paar Monate nachdem ich aus der Reha-Klinik entlassen wurde erfahren würde, würde er erst in vier Monaten aus seinem Koma erwachen. Ich bemerke, dass der Füllstand des Schnapsgläschens, welches mir mit den Mahlzeiten serviert wird, mit den Tagen schnell sinkt, bin jedoch nicht dazu in der Lage diese Auffälligkeit zu hinterfragen. Mit dem Absetzen des Morphiums wird das Fernsehprogramm langweilig und ich lasse es lieber aus. Inzwischen bin ich wieder dazu in der Lage, klare Gedanken zu fassen und habe das intensivste der Trauer und Reue überwunden. Mit dem schlechten Empfang im Krankenhaus bin ich nur schlecht dazu in der Lage, das Internet zu benutzen oder mit meinen Freunden zu sprechen. Von Anfang an festigte sich in mir der Wunsch, diesem schrecklichen Unfall eine Bedeutung zu geben. „Alles passiert aus einem Grund“ rede ich mir ein.
© Philip Blanke 2024-07-21