Es war einmal ein Mann, der war recht zufrieden mit seinem Leben. Er hatte Arbeit, die das tägliche StĂĽck Brot und ein Dach ĂĽber dem Kopf sicherte. Entspannt blickte er auf die Welt und sein Leben. Der Mann hatte seit vielen Sommern eine Frau. Sie war aber keine gewöhnliche Frau – sie war ein Schmetterling. Wenn sie ihre FlĂĽgel ausbreitete, dann glänzten diese in tausend Farben und es gab, soweit sie flog, keinen anderen Schmetterling, der so prächtig gewesen wäre wie sie selbst. Jedermann, der sie sah, war entzĂĽckt ob ihrer wundervollen Erscheinung und sie genoĂź die Aufmerksamkeit. Grazil schwebte sie von Blume zu Blume, um sich in der Bewunderung zu sonnen. Wurde sie vom Umherfliegen mĂĽde, so kehrte sie zu ihrem Mann zurĂĽck, ruhte sich aus, stärkte sich – um am nächsten Tag wieder umher zu flattern. Manchmal saĂź der Mann am Rande der Wiese und beobachtete seine Frau, die so glĂĽcklich umhersprang.
Doch eines Tages, da zog eine Wolke auf, die war so schwarz und düster, wie sie die Schmetterlingsfrau noch nie gesehen hatte. Die Wolke verdeckte ihr die Sonne, doch außer ihr schien niemand diese Wolke zu bemerken und so tat die Schmetterlingsfrau so, als gäbe es den Schatten nicht. Im Gegenteil, sie mühte sich, zu noch mehr Blumen zu fliegen und die Flügel noch weiter auszubreiten, doch die Leichtigkeit, die Eleganz , sie schwanden. Immer öfter und früher kehrte sie zu ihrem Mann in die Hütte zurück. Immer länger blieb sie. Immer größer wurde ihre Sehnsucht zurückzukehren in den Kokon, aus dem sie dereinst geschlüpft war.
Irgendwann flog sie nur noch in der Dämmerung hinaus auf die Wiese, doch es war nur ein verzweifeltes Suchen, denn die Welt hatte sich für sie verändert. Da halfen auch all die Worte ihres Mannes nicht, dass er sie noch immer wunderschön fand, denn sie wusste doch, dass all die Farben von ihr gewichen waren, seit die Wolke auf sie herabregnete.
Als sie wieder einmal umherflog, da fĂĽhlte sie plötzlich ein Netz und ein Junge rief: “Ich hab ihn gefangen!“ Er steckte sie unsanft in eine finstere Dose mit kleinen Löchern und trug sie zu sich nach Hause. Als der Deckel geöffnet wurde, kroch die Schmetterlingsfrau erschöpft hervor, doch ein gleiĂźender Schmerz wie ein tiefer Nadelstich lieĂź sie zusammenzucken, dass ihr die Sinne schwanden.
Als sie das Bewußtsein wiederfand, da war sie Teil der Schmetterlingssammlung des Jungen. Eine Nadel durchbohrte ihren Leib, die Flügel waren fixiert und ein Zettelchen mit der Aufschrift “Schwarzer Trauerfalter, Neptis rivularis” klebte unter ihr. Sie drehte mühsam den Kopf und sah ihr Spiegelbild in der Glasscheibe des Sammelkastens. Als sie dieses betrachtete, dachte sie bei sich: Hätte ich mich doch früher betrachtet, denn die Farben sind gewichen, doch in diesem neuen Gewand hätte ich ein anderes Glück finden können.
© MarcelTheAtterseePirate 2022-01-18