von liisbeth
Meine Mutter sammelt Schneekugeln. Sie stehen in einer Vitrine. In der Vitrine bei uns im Wohnzimmer, wo heute unser alljährliches Winter-Familienfrühstück stattfindet. Als eine gute Tochter müsste ich sagen, wie sehr ich mich das ganze Jahr schon darauf freue. Aber lügen tun brave Kinder auch nicht und wenn ich mich freundlich ausdrücken muss, ist dieses Frühstück die reinste Qual.
Meine Tante, die mittlerweile ohne meine Cousinen und Cousins auftaucht, hat von Anfang an das Wort ergriffen und wird es so schnell auch nicht wieder hergeben. Ich finde das ziemlich unfair… Nicht, dass sie nicht aufhört zu schnattern, soll sie ruhig. Nein, mich stört, dass ich hier in der Hölle sitzen muss und ihren Kindern diese Quälerei erspart bleibt. Aber was sollen sie schon machen, wenn sie so erfolgreich und viel beschäftigt sind wie meine Tante behauptet? Wie gesagt sie redet viel.
Als sie schließlich wieder einmal beginnt über ihre Auslandsaufenthalte zu sprechen, beschließe ich meine Aufmerksamkeit etwas anderem zu schenken: der Vitrine. Mit den Schneekugeln. Meine Mutter sammelt sie. Wieso? Das weiß sie selber nicht so genau, aber irgendwie haben es ihr die kleinen Glaskugeln angetan. Sie hat sie in allen möglichen Größen, Farben, Formen und mit den verschiedensten Motive.
Ich nehme einen Schluck aus meiner dampfenden Tasse und betrachte ihre kleinste Schneekugel. Sie enthält einen Engel. Weißes Gewand, zwei goldene Flügel und einen heiligen Schein. In seiner linken Hand hält er eine Miniaturtrompete, wie Engel die eben haben. Aber was ich am meisten an ihm mag, ist sein schelmisches Lächeln, als hätte er gerade eben etwas angestellt, wovon niemand etwas weiß.
„Marla?!“ reißt meine Oma mich aus meinen Gedanken. „Hast du das gehört?“Ich zwinkere dem Engel verstohlen zu und widme mich wieder den Geschehen am Tisch. „Nein, was denn?““Deine Mutter wollte gerade erzählen, dass…““Aber Mama!“ unterbricht meine Mutter sie und verfällt in ein hysterisches Kichern. Ihre Wangen sind rot, genau wie die von meiner Tante. Auch sie hat zu Lachen begonnen und aus ihren glasigen Augen kullern Lachtränen. Meine Oma hickst amüsiert und murmelt dann unverständlich vor sich hin.
Vielleicht wird das dieses Jahr ein angenehmeres Frühstück als üblich, denke ich und nehme noch einen Schluck Kakao. Der feine Geruch von Rum steigt mir in die Nase. Zufrieden atme ich ihn ein und als ich von meiner Tasse wieder aufblicke, lächle ich schelmisch.
© liisbeth 2023-12-18