von Michael Eisner
Als Botaniker auf der ISS beforsche ich den Wuchs von Pflanzen in der Schwerelosigkeit.
Es ist erschreckend einsam hier oben, seit die Kollegen abgeflogen sind und mich zurĂĽckgelassen haben. Weltraumschrott hat die KommunikationsschĂĽssel zerschossen.
Darwin meinte, der Pflanzenwuchs folge der Schwerkraft und dem Licht. Bei Schwerelosigkeit und 15 Sonnenaufgängen pro Tag regiert das Chaos. Leute, ich kann euch sagen: Alles wächst kreuz und quer. Die gängigen Vorstellungen einer Sonnenblume, einer Kresse, einer Mohnblume gelten nicht mehr. Sie strecken ihre Blütenblätter, ihre hungrigen Füße, ihre viel zu dünnen Hälse überall hin und mutieren. Trotzdem sind sie mir Trost, als die einzigen Lebewesen im Umkreis von 400 Kilometern.
Der Sinn meiner Forschung besteht darin Erfahrungen für die anstehende Marsmission zu sammeln. Die Pflanzen produzieren Sauerstoff und Nahrung. Allerdings hängt mir der Salat schon zu den Ohren heraus, seit der Balsamico ausgegangen ist.
Die zwölf Château-Petrus-Flaschen neugieriger Önologen, um ungefähr 20.000 Euro, habe ich ausgetrunken, was mir den teuersten Rausch meines Lebens und neue Einsichten in das Phänomen des Weltraumkaters beschert hat. Bislang gab es ja nur den, von den russischen Genossen heraufgeschmuggelten Juri-Gargarin-Vodka.
Ich schlafe in meinem Schlafsack, mit Klettverschluss an der Wand angeklebt. Alles ist mit Klett oder Gummibändern fixiert. Du kannst ja nichts irgendwo hinstellen, um es später wieder zu holen. Es fliegt weg.
So sitze, nein schwebe ich herum und sehne mich nach Halt, der mir auf Erden immer zu eng war. Ich wĂĽrde so gern spazieren gehen, auch um die FunkschĂĽssel zu reparieren. Nur, allein kann niemand einen Raumanzug anlegen – laĂźt euch von der Science-Fiction nicht blenden.
Und dann gibt es noch den Weltraumgeruch. Alles was draußen war, riecht wie eine Bierdose in die schlecht ausgedämpfte Zigaretten gesteckt wurden. Jeder denkt, da sei ja nichts, nur Vakuum. Aber warum stinkt das dann so?
Es wird dich nicht wundern zu hören, dass ich begonnen habe mit den Blumen zu reden. Was mich jedoch wundert: Sie antworten mir. Und sie singen.
Ich habe Vorbereitungen getroffen, die Bewässerung automatisiert und die Wurzelsäcke aufgeschnitten, mögen die Pflanzen wuchern.Das Leben ist mir gleichzeitig zu kurz und zu lang.Die Sonnenblumen und der Salat singen mir Bachs „Ich habe genug“ hinterher.
Ich mache mich auf zur Luftschleuse.
Foto: Scott Kelly/ NASA (creative common)
© Michael Eisner 2021-04-05