Die Sechs As(se) – Kapitel 7

Dorian Raphael Kalwach

von Dorian Raphael Kalwach

Story
1996 – 2011

Am 26. März 1996 schenkte mir meine Mutter meine Geige. Mein zwölfter Geburtstag. Ich sollte immer gut auf sie aufpassen, weil sie sehr wertvoll war. Obwohl sie mir vorerst zu groß war, spielte ich jeden Tag auf ihr. Das war auch der Tag an dem ich den Musikverein zum ersten Mal von innen gesehen hatte. So prachtvoll und schön, aber doch sträubte sich etwas in mir. Das erschien mir so sinnlos.

Das Tschaikowskij Symphonieorchester spielte das Märchen-Poem für Orchester von Sofia Gubaidulina im Großen Saal des Musikvereins. Wir hatten Stehkarten. Absolute Stille. Nur hin und wieder schrille Akkorde und Noten. Mir tat die hässliche Melodik in den Ohren weh, es wirkte so willkürlich. Ich blickte zu meiner Mutter und sah, dass sie das Stück verstand. Sie hielt sich am Geländer fest und starrte mit Tränen in den Augen auf die große Bühne. Auf einer höheren Ebene spiegelte sich in diesem Stück ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wider. Sie wusste es. Sie wusste alles. Sie schloss ihre Augen und atmete die Klänge ein. Die Luft. Die Atmosphäre. Das Leidvolle in der Musik. Ich umarmte Mama und sie sah auf mich hinab. „Danke für heute.“, flüsterte ich. Sie küsste mir auf die Stirn.

Meine Kindheit war schön. Drachensteigen. Gesellschaftsspiele. Wanderungen. Aber doch hatte Mama immer etwas Melancholisches in ihrem Dasein. Vielleicht hatte sie sich das Muttersein anders vorgestellt. Vielleicht war ich keine gute Tochter. Vielleicht war sie einfach depressiv. Vielleicht hat sie sich umgebracht…

Das erste Mal gestohlen hatte ich im Sommer 2006 bei meinem ersten Job als Kassiererin beim Schlecker. Davor hatte mich mein Onkel finanziell unterstützt, zu seinem Missfallen. Niemand wollte mich als Regieassistentin auf den Bühnen Wiens haben und bevor ich verhungerte, suchte ich mir eben einen Job unter meiner Würde. Im Jänner 2007 wurde ich Antiquitäten-Schätzerin im Dorotheum und traf Helena. Dann begannen meine ersten größeren Raubzüge. Ich habe die OeNB als Fälscher-Expertin um Tausende Euro erleichtert, ohne, dass sie es merkten. Der Münze Österreich konnte ich sogar fast täglich eine Münze rauben, über einen Zeitraum von drei Jahren bis ich letztes Monat gekündigt hatte… Aber ich blieb immer unterm Radar.

Schweißgebadet vom Gehen im sonnenerhitzten Stiegenhaus, läutete ich an und die Glockenmelodie ‚Jingle Bells‘ erklang. Auf dem Türschild stand R. Süßmayer. Ich grinste und witzelte: „Es hat doch jeder einen verrückten Onkel, oder?“ Rudolf öffnete die Türe und sprach: „Frohe Weihnachten Adisa! Du wirst es nicht glauben, ich habe gerade erfahren, dass ich im Lotto gewonnen habe.“ „Gratulation!“, rief Helena. Ich grinste Heli kopfschüttelnd an. „Danke. Ich hab gehört du bist oft in Mauritius, du wirst es nicht glauben, aber ich habe Single Bells und O Palmenbaum gemacht.“, meinte er. Heli war erstaunt und erwiderte: „Sind Sie Regisseur?“ Er nickte und sprach: „Kommt ruhig hinein. Eierpunsch oder Glühwein?“

© Dorian Raphael Kalwach 2022-07-27

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