Die Spinne und die Fliege ½

JosefSilbertal

von JosefSilbertal

Story

Hörst du die Schreie? Sie selbst schweigen im Nebel und zerreißen die letzten Fetzen des unbrauchbaren Netzes der Spinne der Ausgeglichenheit. So wird sie ihrem Namen kaum gerecht, was ist sie schon ohne ihr Netz. Kein Platz mehr da um Beute zu fangen, kein Platz um weitere Fäden zu spinnen, die etwas Halt geben könnten. Was nützt dem besten Netzbauer seine Kompetenz wenn sein gesamtes Fundament zerrissen ist?

Die letzte Fliege, die im Netz gefangen war, hatte sich so heftig gewehrt, daß das Netz schwer darunter litt. Und dann kam kurz darauf die nächste angeflogen, dabei war die Spinne fast noch ahnungsloser als diese Fliege, die sich scheinbar nur leicht verfing. Diese letzte Fliege kam mit einer gewaltigen Energie und es war noch nicht genug Zeit vergangen seit der letzten, um die kaputten Stellen im Netz zu reparieren. Zu unachtsam wurde sie eingewickelt, weil die Spinne noch von der vorherigen Beute zehrte. Aber diese Fliege war auch scheinbar unproblematisch, sie zappelte nicht lange nach, wie das die meisten sonst tun, sondern hatte sich ihrem Schicksal bereits gefügt. Ein wahres Festmahl, sie sollte lange ausreichen, um der Spinne die Existenz zu erleichtern. Durch die scheinbare Hilflosigkeit der Fliege beging die Spinne einen folgenschweren Fehler, der sich für beide fatal auswirken sollte. Sie ließ die Fliege zu lange einfach so im Netz, ohne sie zu betäuben, fester zu umgarnen. Und genau diese Unachtsamkeit wollte die Fliege ausnützen um zu fliehen. Sie fing so heftig an zu zappeln, daß das Netz noch stärker litt, als es dies ohnehin noch von der letzten Fliege tat.

Das Schicksal trug seinen Teil bei, ein großer Sturm kam auf und riß das einst so komplexe und feste System endgültig auseinander, nur auf einer Seite wurden viele Fäden zusammengewürfelt und bildeten ein unentwirrbares Labyrinth, das sich selbst nicht mehr verstand. Die Spinne verlor den letzten Rest von Halt in ihrer verzerrten Welt, und die Fliege wurde mit einer so gewaltigen Wucht auf den Boden geschleudert, daß sie ihre Flügel dabei verlor und so völlig hilflos auf dem Rücken lag. Leise flehte sie die Spinne an, sie möge sie doch erlösen, schließlich mache es für sie doch keinen Unterschied, wo sie ihre Mahlzeit einnimmt. Doch die Spinne versuchte verzweifelt, aus allem, was ihr geblieben war, dem Fädenlabyrinth, eine gewisse Notausgeglichenheit herzustellen, verfing sich aber durch die Hektik ausweglos darin. So gab es für beide kein Entrinnen mehr und sie warteten gemeinsam und doch einsam und allein auf den langsamen, sicheren Tod.

© JosefSilbertal 2020-10-23

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