Die Sprache der Pflanzen

LilyEvans

von LilyEvans

Story

Ich wohne mit meiner Familie in einem Haus mit großem Garten. Auf der Terrasse stehen zwei kleine Blumenkistchen. Das eine gehört mir, das andere meiner Schwester. Jeden FrĂŒhling entfernen wir die braunen BlĂ€tter vom letzten Jahr und graben die Erdbeeren, Himbeeren und Minzsorten um. Meiner Schwester macht das großen Spaß, ich finde es eher lĂ€stig. Aber sie hat eben einen grĂŒnen Daumen.

Ich habe mal in einer Zeitschrift gelesen, dass Pflanzen ihre eigene Sprache haben und besser wachsen, wenn man ihnen Musik vorspielt. Auch wenn man ihnen etwas vorliest, bleiben sie gesĂŒnder. Das habe ich etwas spöttisch meiner Schwester erzĂ€hlt und gesagt, sie könnte das ja mal ausprobieren. Meine Erdbeeren hatten in diesem Jahr viel hergegeben, ihre schienen eingegangen zu sein. Ich belĂ€chelte die Theorie mit der Sprache der Pflanzen.

Als ich im Sommer vom Schwimmbad nachhausekam, hörte ich eine Stimme aus dem Garten. Ich sah nach und ertappte meine Schwester dabei, als sie ihren Erdbeeren vom vergangenen Tag erzÀhlte. Ich verdrehte die Augen und ging wieder ins Haus.

Eine Woche spĂ€ter spielte sie ihren Pflanzen jeden Tag ein KlavierstĂŒck vor und Ende Juli bemerkte ich sogar, dass sie unseren Tomaten aus “Frau Honig” und “Harry Potter“ vorlas. Dann erklĂ€rte sie komplizierte Wörter oder Textstellen, die ihr besonders gut gefielen. Langsam spinnt sie, dachte ich mir.

“Na, hast du Opas Himbeeren wieder etwas vorgelesen, oder warum sind sie so eingegangen?”, empfing ich sie eine Woche spĂ€ter, als sie gerade von ihrer alltĂ€glichen Pflanzenrunde ins Haus kam.

“Nein”, antwortete sie. “Ich habe eins von deinen FlötenstĂŒcken vorgespielt. Ich glaube, das hat ihnen nicht gutgetan.”

Daraufhin setzte ich mich ebenfalls jeden Tag zu Opas Himbeeren und meinen Erdbeeren und versuchte, den Schaden wieder auszugleichen. Nach ein paar Tagen gab ich es aber wieder auf, denn sie schienen dadurch nicht besser auszusehen.

Am Ende der Sommerferien kam meine Schwester in unser Zimmer gestĂŒrmt.

“Na bitte!”, rief sie. “Meine Erdbeeren und Tomaten tragen mehr als deine!”

Sofort ging ich in den Garten und ĂŒberzeugte mich selbst davon. Ich versuchte, es auf die Sonnenlage, die zĂ€rteren StĂ€ngel und die Temperaturen hinauszureden. Doch irgendwann sah ich ein, dass entweder meine Schwester einen moosgrĂŒnen Daumen oder Recht haben musste.

Tja, sagte ich mir. NĂ€chstes Jahr lese ich ihnen aus meinem Bio – Buch vor.

© LilyEvans 2021-04-07

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