von Margit Schinerl
Der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1998 war Portugiese, lebte aber während seiner letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod 2010 auf Lanzarote. Ein kürzlicher Urlaub auf dieser Insel veranlasste mich, den mir bis dato unbekannten Autor Jose Saramago zu Gemüte zu führen. Dieses Buch, als eines seiner bekanntesten Werke, wurde verfilmt, auch dieses Epos ist an mir vorübergegangen. Der Zufall hatte mir auf der kanarischen Insel ein Exemplar auf Deutsch in die Hände gespielt, was im Nachhinein gesehen, ein guter war.
Es sind immer die ersten Zeilen, die über ein Weiterlesen eines Buches entscheiden, so haben auch in diesem Fall die ersten spannenden Sätze ihr Ziel erreicht. Ein Auto, das vor einer Ampel steht und bei Grün nicht weiterfährt, einen Stau auslöst. Eine plötzliche Blindheit, aus unerklärlichen Gründen, hat den Fahrer erfasst, eine Blindheit, die die gesamte Umwelt des Betroffenen ungewöhnlicherweise in Weiß erscheinen lässt. Es wird dem verzweifelten Mann Hilfe bei der Weiterfahrt angeboten, dem Helfenden ereilt kurz darauf dasselbe Schicksal. Nach und nach erkranken immer mehr Menschen, die mit einem Blinden Kontakt hatten, man nennt das Phänomen das „Weiße Übel“. Ein Polizist, ein Augenarzt, die Wartenden in seiner Ordination. Einzig die Frau des Augenarztes scheint vorerst immun zu sein.
Die Regierung muss handeln, das Ministerium stellt die Erkrankten unter Quarantäne, die Menschen werden ironischerweise in eine ehemalige Irrenanstalt gebracht, die Armee bewacht mit brutalen Maßnahmen die Einhaltung der dort herrschenden Gesetze. Bald bricht Panik aus, Ungewissheit, es muss eine Struktur, ein Ordnungssystem für die täglichen Abläufe wie Nahrung und Hygiene gefunden werden. Die immer noch sehende Frau des Arztes wurde irrtümlicherweise ebenfalls in die Anstalt gebracht. Da immer mehr Menschen erblinden bzw. als Infizierte eingeliefert werden, beginnen Gewalt, Chaos und schließlich Anarchie.
Stilistisch zu Beginn gewöhnungsbedürftig aufgrund der vermeintlich langen Sätze, welche auch direkte Reden, allerdings ohne Anführungszeichen enthalten. Nur ein mit einem Großbuchstaben beginnendes Wort mitten im Satz verweist auf einen Dialog. Spätestens jetzt bin ich froh, nicht die ursprünglich gewünschte englische Version „Blindness“ bekommen zu haben. Die Personen haben keine Namen, das gesamte Buch hindurch wird von „der Frau des Arztes“, dem „ersten Blinden“, dem „Polizisten“ geschrieben. Trotz der detaillierten Beschreibung von Gewaltszenen und der dystopischen Richtung bleibt die Spannung bis zum Ende aufrecht. Was passiert weiter mit den Menschen in der Anstalt? Welche Rolle wird die Frau des Arztes spielen? Gibt es am Ende Heilung?
Ich beende an dieser Stelle meine 100. Geschichte mit der Empfehlung, die „Stadt der Blinden“ zu lesen, definitiv kein Wohlfühlbuch, jedoch ein gut zu lesendes, beeindruckendes Werk.
© Margit Schinerl 2023-12-15