Die StÀdte und die Zeichen

Christian Knoche

von Christian Knoche

Story
Shanghai

Meinen Anzug habe ich bereits im Flugzeug angezogen, kurz vor der Landung. Er ist dunkel und makellos. Im Bad des A380 war genug Platz. Jetzt die schwĂŒle Hitze und der Geruch von Kerosin. Shanghai. Wie oft war ich schon hier? Es könnte auch irgendeine andere Großstadt sein. Nach der Passkontrolle werde ich freundlich von einem Chinesen begrĂŒĂŸt.

„Hallo, JĂŒrgen, schön Dich zu sehen. Wie geht es Dir?“, fragt er in sehr leidlichem Englisch.

Ich antworte höflich und ĂŒberspiele, dass ich keine Ahnung habe, wer er ist. Auch er trĂ€gt einen tadellosen, dunklen Anzug. Der letzte Besuch ist einige Wochen her, und die Leute wechseln hier schnell. Außerdem hat mein Gehirn eine schlechte Mustererkennung fĂŒr asiatische GesichtszĂŒge. Dann durchfĂ€hrt es mich wie ein Blitz.

„Du erinnerst Dich an mich?“, fragt er.
Wahrscheinlich bin ich nicht der erste EuropÀer, der ihn so ansieht.
„NatĂŒrlich! Chaly.“

Der Blitz kam gerade im richtigen Moment. Chaly, ohne ‚r‘. Sie geben sich alle diese englischen Namen, weil wir mit ihren Zeichen nichts anfangen und ihre richtigen Namen nicht aussprechen können. Er ist in etwa mein Alter, verheiratet, Frau mit Kehlkopfkrebs, möchte gern ein Kind wenn sie die Chemo ĂŒberstanden hat. Wenn.

„Wie geht es Deiner Frau?“
Ein versteinertes Gesicht.
„Es geht gut, danke. Wie geht es Deiner?“
„Die ist auch wohlauf, danke!“
„Wir mĂŒssen los“, sagt er.

Er will meinen Koffer nehmen, aber ich lehne ab. Wir gehen riesige Korridore entlang, viereckige Tunnel, die am Horizont zu einem Punkt zusammenziehen, der immer noch mehr Tunnel ausspeit, je nÀher man ihm kommt.

Durch die RollbĂ€nder geht es schneller in diese Endlosigkeit. Über mir Plakate mit chinesischen Schriftzeichen. Einige kann ich ungefĂ€hr deuten, etwas mit Wasser und Schmutz, der Partei und Ordnung. An den WĂ€nden sind endlose Monitore angebracht, auf denen Werbung lĂ€uft. Die Filme fahren in der Geschwindigkeit der RollbĂ€nder mit.

In einem schreitet eine junge Frau durch riesige Hochhausreihen. Sie enthalten hunderte, tausende Wohnungen. Alle haben den gleichen Grundriss. Von jedem Balkon hĂ€ngt ein roter Lampion. Ein Mann in dunkelblauer Uniform regelt freundlich lĂ€chelnd den Verkehr. In den Höfen zwischen den Blöcken blĂŒhen Blumen, stehen Palmen. Die junge Frau trĂ€gt ein langes rotes Kleid. Die hoch geschlitzten Seiten lassen ihre perfekten Beine frei. Sie hĂ€lt eine Leine in der Hand, an deren Ende ein Puma lĂ€uft. Er ist schwarz und bewegt sich ebenso elegant wie die junge Frau. Sie sieht europĂ€isch aus, wie ein Fremdkörper zwischen all den Schriftzeichen. Nur als sie kurz den Kopf zur Seite wendet und in die Kamera blickt, erkenne ich einen leicht asiatischen Einschlag um die Augenpartie.

© Christian Knoche 2023-12-08

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