von Karla Tanguay
Ich kenne die stärksten Menschen der Welt. Vierzehn Hände ragen in die Luft und halten sie, unsere Welt. Es sind genau sieben Menschen und ich möchte sie dir vorstellen.
Einer davon ist Tassenproduzent. Er kann nicht aufhören verschiedenste Tassen zu formen. Er ist groß und seine Muskeln tanzen unter seinen Armen, wenn er mit kräftigen Bewegungen den Ton bearbeitet, den er später bei 900 Grad brennen wird. Er ist müde und er hat selbst Durst, aber zum Trinken kommt er vor lauter Arbeit nicht.
Da ist der Kommissar, in dessen Lächeln lauter Antworten stehen. Das, was er weiß, kann man durch dieses Lächeln hören. Einmal habe ich sogar durch seinen Mund einen Blick in die Zukunft werfen können, er hat mir kurz ein bisschen davon erzählt. Aber er selbst hört nur wenig, seine eigenen Ohren übertönen alles, was ihn erreichen will.
Dann gibt es Exousio Roth, der genug Lebenslust in seiner Hosentasche bereithält für alle, die ihre gerade nicht finden. Er nimmt immer zwei Stufen Leben auf einmal. Aber seine immerzu anhaltende Energie zwingt ihn oftmals plötzlich in die Knie und dann sickert all seine Lebenslust in eine traurige Lache, die sich um seinen gekrümmten Körper schmiegt.
Die ehemalige Kinderkönigin ist alt und hat helles kurzes Haar. Ich habe sie erst kennengelernt, als sie schon nicht mehr selbst Königin war, aber ich kann mir vorstellen, dass sie in einer aufgeregten Schar Kinder gut den Überblick behalten kann. Nur ein Kind hat nie auf sie gehört und versucht sie noch heute mit aller Kraft umzustoßen, es nennt sich: Gleichgewicht.
Außerdem gibt es Georg Mortem, er ist ein großer Mann, der noch größer wäre, würde er sich ganz aufrichten. Er hat kleine unruhige Augen und sein Haar ist so kräftig, dass es ihm über seinen Nacken auf den Rücken krabbelt. Wenn er spricht, stößt er neben den Worten noch ganz viel Wind mit aus und seine dunklen Augen huschen nervös umher. Ich glaube, sie suchen beständig nach einem Ausweg.
Aripa ist an erster Stelle Mutter und ihre sanfte Art beruhigt mich. Gerne höre ich ihr zu, wenn sie ein bisschen aus ihrem früheren Leben erzählt, dann klingt es für mich fremd und vertraut gleichzeitig. Vielleicht kann sie so gut mit Worten umgehen, weil sie so viele liest. Das einzige, das an ihr seit Jahren nicht zur Ruhe kommt, ist ihre linke Körperhälfte.
Als Letztes gibt es die Kreisläuferin, die für mich den Anfang und das Ende bildet. Ich habe sie schon einige Male auf ihren Runden begleitet. Zu ihr habe ich die engste Verbindung, denn ich glaube, unsere Kreise überschneiden sich gar nicht so selten. Es bleibt ihr im Moment nichts anderes übrig, als immerzu in einem großen Kreis zu laufen, denn wenn sie zu weit geht, setzt ihr Körper irgendwann wieder aus und sie wäre unerreichbar.
Vielleicht hast du dir die stärksten Menschen anders vorgestellt, aber ich bin mir ganz sicher, dass sie es sind. Sie besitzen die größte Spanne zwischen Aufgeben und Hoffnung und wenn die Welt irgendwo sicher ist, dann in ihrer Mitte.
© Karla Tanguay 2022-08-10