von Hermann Karosser
Es muss so um 1958 herum gewesen sein, da war ich das einzige Mal im Haus meines Onkels und Taufpaten. Er lebte dort mit seiner Frau und zwei Söhnen. Im Verlauf des Besuches durfte ich mit der Modelleisenbahn der Kinder spielen, einer Fleischmannâh0-Startpackung mit Trafo, Lok und drei Waggons.
Offensichtlich hatte man mir die Begeisterung fĂŒr dieses Spielzeug angemerkt, denn nicht lange nach diesem Besuch schenkte mir mein Onkel eben diese Modelleisenbahn. Warum, weiĂ ich bis heute nicht. Ob seine Buben des Spielzeugs ĂŒberdrĂŒssig geworden sind oder eine neue, bessere bekommen haben, es war ja schlieĂlich ânurâ eine Fleischmann und keine MĂ€rklin, mir war das damals völlig egal. Hauptsache, ich hatte nun meine eigene elektrische Eisenbahn.
DafĂŒr, aus der Anfangspackung eine richtige Anlage zu bauen, war ich noch zu klein. Da kam mir entgegen, dass mein groĂer Bruder, damals schon um die 20 und âbeim Bundâ, auch Gefallen an der Eisenbahn fand. Und so geschah es, dass an einem Heiligen Abend meine Eisenbahn fein sĂ€uberlich auf eine Sperrholzplatte montiert, mit einem Bahnhof und einem Stellwerk auf dem Gabentisch lag. Im Auftrag des Christkindes hatte mein Bruder meine erste Eisenbahnanlage Wirklichkeit werden lassen. Er war es auch, der fĂŒr die weitere Entwicklung sorgte, in dem er bei jedem Heimaturlaub in der BahnhofstraĂe bei âSpielwaren Dittlmannâ Station machte und fĂŒr mich einen neuen Waggon erstand.
65 Jahre sind seither vergangen, trotzdem sind einige Teile dieser ersten Anlage noch immer vorhanden und zum Teil sogar noch in Betrieb. Angefangen bei der Sperrholzplatte, ĂŒber den Trafo, der noch funktioniert, den Bahnhof âBlauseeâ mit dem Stellwerk bis hin zu der alten Dampflok BR 80 mit einigen Waggons. Sie sind allerdings Teil einer regelrechten âEisenbahnlandschaftâ in meinem Keller, die die Herzen von Jung und Alt höher schlagen lĂ€sst.
Ob meine Enkel bei der Eisenbahn bleiben, steht in den Sternen. Noch verlangen sie bei jedem Besuch einen Abstecher in den Keller. Aber die digitale Welt der Jugend heute spielt sich woanders ab, im Internet, im Fernsehen, auf dem Smartphone, mit der Konsole, sodass ich mir da keine Illusionen mache.
Trotzdem bewegt mich die Frage, was wird aus alledem, in das ich so viel Zeit und Herzblut gesteckt habe, nach mir? Die neuen Loks und sonstigen Fahrzeuge stellen durchaus einen materiellen Wert dar, der sich im Verkauf realisieren lĂ€sst. Aber die Anlage selbst? Sie kann nicht einfach aus dem Keller herausgetragen und woanders hingestellt werden, sondern sie muss sinnvoll in Module zerlegt werden. Wer aber hat daran Interesse? Wahrscheinlich ist es besser sich darĂŒber gar keine Gedanken zu machen und das eigene Hobby einfach so lange zu genieĂen, wie es geht.
Derjenige, der den Keller einmal rÀumen muss, wird mich verfluchen.
© Hermann Karosser 2020-07-11