Die Stille des Blaus

Laura Goma

von Laura Goma

Story

Honduras. Ich erkunde in 30 Metern Tiefe ein Schiffswrack, als mich aus dem Nichts ein Typ in schwarz angrinst – ohne Atemgerät und Taucherflasche. Bitte?? Ich verstehe die Welt nicht mehr, wo ist seine Ausrüstung, wo kommt er plötzlich her, braucht er Luft? Ich muss ihm helfen! Ich starre ihn entgeistert an, er schwebt elegant an mir vorbei und erkundet das Wrack. Da sind noch zwei andere, mein Gott, was ist hier los! Was machen die hier unten? Es ist tief hier, verdammt nochmal! Ich beobachte sie zunehmend neugierig, sie erkunden in aller Seelenruhe die Gegend, die einzig Nervöse hier bin ich. Sie hinterlassen keine Luftblasen und Atemgeräusche wie wir Taucher. Fische und Co. scheinen nicht vor ihnen zu flüchten, sie gehören dazu, sie sind Teil der Meeres-Crew. Dann richtet sich einer nach dem anderen auf und schwebt langsam wieder nach oben Richtung Wasseroberfläche. Sie bewegen sich ganz ruhig, mit kontrollierten, langen Flossenschlägen, die Arme eng an den Körper gelegt, keine Anzeichen von Hektik oder Eile. Ich sehe ihnen nach, bis das Blau sie verschluckt und bin völlig hin und weg. Wie geht das? Ich dachte, ich bin der große Abenteurer unter Wasser aber jetzt fühlt sich mein Atemgerät fast wie Betrug an. Gedankenverloren beende ich meinen Tauchgang. Zurück an der Oberfläche frage ich meinen Tauchguide, was ich da gerade gesehen habe. Er erklärt mir, dass das Freediver, auch Apnoetaucher genannt, waren und dieses Wrack nehmen sie gerne als Übungsstelle. Wie genau sie das alles machen, konnte er mir nicht erklären. Ich schmeiße Google an und will mehr wissen.

Bali. Vier Leute dümpeln an einer Boje auf offenem Meer rum. Eine davon bin ich. Ich bin jetzt auch “ein Typ in schwarz”, aktuell aber ganz unelegant an der Wasseroberfläche grinsend.

Theorie und Pooltraining liegen längst hinter uns, ich hatte vorher nicht den Hauch einer Ahnung, wozu der menschliche Körper alles fähig ist. Das Einzige, was uns im Weg steht, sind wir selbst, unsere oft destruktiven Gedanken, unsere Angst loszulassen. Schon nach wenigen Tagen kann ich mit dem Gesicht unter Wasser im Pool treibend für knapp vier Minuten die Luft anhalten, vorher absolut unvorstellbar. Alles, was es dafür braucht, ist ein besseres Verständnis für die eigenen Körperfunktionen und etwas Mentaltraining, um den Körper in absoluten Ruhezustand versetzen zu können. Es ist, als hätte sich mir eine völlig neue Welt eröffnet – die Welt der Atmung und der Weite meines Geistes.

Es ist so weit. Ich bin an der Reihe, mich mit dem Sicherungsseil zu verbinden und abzutauchen. Das Seil mit dem Gewicht am Ende ist heute auf 30 Meter gesetzt. Ich schließe die Augen und nehme mir Zeit, um bei mir anzukommen. Ich blende die anderen aus, die Erwartungen, all meine sonst unaufhörlich umherschießenden Gedanken. Ich vertiefe meine Atmung, tauche ein in mein Mentalparadies und dann langsam, voller Vertrauen in mich und meinen wundersamen Körper, hinab in tiefes, stilles, endloses Blau.

© Laura Goma 2021-04-20

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