Die Telefonzelle

Die Schneeflocken haben erneut begonnen zu fallen und die Stille in dieser Stadt ist nicht auszuhalten. Aus irgendeinem Grund fühle ich mich fremd. Ich habe das Leben satt, jedes Jahr das Gleiche, jedes Jahr dieselben Erschwernisse und kein Licht am Ende des Tunnels. Wie an jedem Abend wage ich mich hinaus in die kalte, düstere und dunkle Stadt. Der Atem wird durch die Kälte schwieriger. Der kalte Wind, der mir entgegenkommt, durchstößt mich wie ein Messer. Scharf und schmerzhaft. Dieselben Menschen kommen und gehen, dieselben Bilder vor meinen Augen, dieselben Bewegungen. Dieselben Bäume, die ihre Blätter verlieren und dieselben Bänke, auf denen die Menschen sitzen. Inmitten dieses Wirbels stehe ich. Jedes Mal ergreift mich der Blick einer, alleinstehenden Telefonzelle. Eine verlassene Zelle, die kein Mensch mehr verwendet und leer steht. So leer wie ich. Warum entfernen sie die nicht? Denkmal geschützt? Nein, kann ich mir nicht vorstellen. Die Telefonzellen erzählen ihre eigenen Geschichten. Menschen, die damals sehnsüchtig Telefonate machten, um ihren Geliebten von ihrem Alltag zu erzählen. Ein Ort, um Dinge loszuwerden.
Die Centstücke, die man sammelte, um für eine einzige Minute die Stimme des anderen zu hören.
Die Telefonzellen sind heutzutage entweder verlassen oder zu einer Bücherei verwandelt worden. Ab und zu kommen dann doch Individuen vorbei, um Bücher an diesen Orten zu lesen.

„Was für Geschichten hast du anzubieten, Telefonzelle?“ Normalerweise meide ich es in die Nähe dieser zu gehen, allerdings spüre ich eine seltsame Bindung zu dieser Zelle. So, als wäre ich gezwungen, diese Telefonzelle zu betreten.

Wie jede andere, ähnelt diese genauso denen, die ich zuvor in meinem Leben gesehen hatte. Herabgekommen, beschmutzt und verlassen. Der Hörer schien aber intakt zu sein. Ob das Gerät noch funktioniert? Langsam öffne ich die Türe der Kabine. Es knarrt und knackst. Wehe das Gerüst bricht zusammen. Ich begebe mich auf die kleine, enge Fläche und drehe mich um meine eigene Achse, um jeden Millimeter zu begutachten. Zögerlich ergreife ich den Hörer und lege es an mein Ohr. Plötzlich ertönt eine schöne Damenstimme: „Danke für Ihren Anruf! Möchten Sie in die Vergangenheit reisen, um Geschichten oder Schicksale anderer Menschen zu erleben? Dann betätigen Sie bitte die Taste 0-1, um die allererste Reise in die Vergangenheit durchzuführen.“ Beim Hören dieser Worte beginne ich zu lachen. Als ob es wirklich möglich wäre, in die Vergangenheit zu reisen. Was sollten mir denn die Vergangenheiten anderer Individuen sagen?

„Dann lass es uns mal austesten, ob ich „wirklich“ in die Vergangenheit reisen kann.“ Ich bin nervös. Obwohl ich dieser ganzen Sache nicht traue, habe ich den Sprecher trotzdem dicht an meinem Ohr gehalten und wähle nun die 0-1. Stille. Nichts passiert. Als ich kurz davor gewesen bin, aufzulegen, ertönt erneut die sanfte Damenstimme.

„Danke für Ihren Anruf. Sie haben erfolgreich die Taste 0-1 betätigt, willkommen in Vergangenheit Nr. 1.“