Die Therapiepuppe

rebella-maria-biebel

von rebella-maria-biebel

Story

Nein, sie ist nicht herzig. Sie ist keine zum Verlieben, keine die man sehnsĂĽchtig anschmachtet, so als 3Jährige :“Mama, bitte diiiie!!“ Grob herausgesagt sieht sie grauslich aus mit ihren ausgerissenen und verschandelt geschnittenen blonden Haaren samt einigen Färbversuchen mit schwarzem Filzstift.

Gut, sie ist nimmer die JĂĽngste. Etwa 56 Jahre, das ist fĂĽr eine Puppe doch ein beachtliches Alter. Sie heisst Ditta und sie war die erste Puppe meiner kleinen Schwester Karin, die vor zwei Monaten in die drĂĽbere Welt gegangen ist. Ditta sitzt nun bereits ihr halbes Puppenleben in meinen BĂĽcherregalen, auch jetzt zwinkert sie mir mit ihrem linken beweglichen Augenlid zu.

Karin hat sie ordentlich bearbeitet, das hatte seine Gründe. Sie hatte sich eine Puppe gewünscht, der sie ein Flascherl geben konnte, so wie sie es bei ihrer Freundin gesehen hatte. Ditta konnte nichts ausser mit ihren Wimpern klimpern und Arme und Beine bewegen. Wenn Karin sie also trotzdem zu füttern versuchte, sah sie dementsprechend aus, bis in ihre Haare verklebt. Irgendwann hatte Karin keine Lust mehr, die dreckige Puppe zu schrubben und schnitt ihr kurzerhand die Haare ab. Aber wie! Danach kamen die Färbeversuche mit Filzstiften. Dabei ist sie auch ausgerutscht, so bekam Ditta auch einige Schmisse ins Gesicht.

Und so sah sie also aus, als ich sie im Jahr 1993 bekam. Im Juli war „mein“ BankĂĽberfall gewesen, im September ging ich in einen Workshop, immer noch schwer traumatisiert, zittrig, ängstlich. Es ging darum, unser inneres Kind liebzuhaben. Und als Heinrich, der Therapeut meinte, dass eine Puppe hilfreich sein könnte, da wollte mir Karin ihre Ditta unbedingt schenken. Ich hatte keine eigene Puppe mehr, drum nahm ich Ditta gerne an. Und ich verteidigte ihr schreckliches Aussehen gegen jeden scheelen Blick oder verächtlichen Schmunzler.

„Ditta hat sich bis jetzt durchs Leben gekämpft, das sieht man ihr an. Sie ist ein tapferes inneres Kind.“

Jahrelang ging ich mit Ditta schlafen, Ehebett zu dritt, Ditta musste dabei sein. Als ich nach Portugal flog, nahm ich sie im Handgepäck mit und erntete mitleidige Blicke des Bodenpersonals. An der Algarve kam sie mit an den Strand, und wenn mir danach war, dann ging sie auch mit zum Essen ins Restaurant. Es war mir herzlich egal, was andere darĂĽber dachten. Es war Karins erste Puppe, die sie mir mit hoffnungsvollen WĂĽnschen schenkte, das war’s was fĂĽr mich zählte.

Ditta hat mir sicher geholfen. Mit ihr hab ich mein inneres Kind an die Hand nehmen können, konnte mich herausfĂĽhren aus diesem bösen Trauma. Irgendwann konnte ich auch ohne Ditta schlafengehen. Seither sitzt sie bei meinen BĂĽchern, und seit Karin hinĂĽbergegangen ist hat Ditta eine neue Funktion. Sie ist eine selbstverständliche Verbindung zu Karin. Zerrupft, aber ganz innig und herzwarm empfinde ich sie jetzt, wenn mir Karin so sehr fehlt. Und wieder hilft sie mir, meine grossartige Therapiepuppe…

© rebella-maria-biebel 2020-06-09