Mein Vater hatte die Idee, einen Film über die „Tinder Kinder“ zu machen. Damit meint er meine Generation, die die Sache mit der Liebe nicht mehr so eng sieht und mehr zweckhaft als verträumt wirkt. Letzten Winter saß dann auch ich vor meinem Handy und debattierte, ob ich die App herunterladen sollte. Wieso nicht, dachte ich mir, ein Date wäre doch ganz nett! Swipe left, left, left, links, mal Profil anschauen, swipe. Es hatte etwas Meditatives. Ein paar Nachrichten verschicken, die Antworten, auf die man etwas antworten konnte, beantworten. Ein paar mal hin- und her, dazwischen mal krank werden und was verschieben müssen, dann ein Treffpunkt, eine Uhrzeit, man kann es ja versuchen. Um nicht allzu verschwitzt anzukommen, bemühte ich mich beim Radeln um ein gemäßigteres Tempo. Wie gesagt: bemühte! Museumsquartier, Weihnachtsmarkt, Lichter, Leute, Punsch und ein Haufen Dinge, die man nie brauchen wird. Kleine Kunststände reihten sich an Bienenwachstürme, Handpuppen und Seifen, Schokoladenwerkzeuge, Würstl, Rösti, Steine, irgendwas aus Papier, daneben was aus Draht. Ich sog die Stimmung auf und überprüfte meine Uhr. Ausgezeichnet! Viel zu früh, dann konnte ich also die Stände noch allein genießen. Ich schlenderte umher und genoss den langsam dunkelnden Nachmittag. Ein Nest aus Stimmen um mich herum und ein Schatten, der sich hinter mir entlangschlängelte und mich irgendwann einholte. „Hallo“, ein Lächeln traf mich. Es kommt immer auf die richtige Stimmung an! An diesem Tag bekam er ein Lächeln, ein Hallo und ein Gespräch zurück. Wieso nicht ein wenig zu zweit dahinschlendern, während man auf sein Date wartet. Er war sympathisch, so sehr sogar, dass ich mir meine Nummer abschwatzen ließ. Wird sich eh nicht melden, dachte ich mir. Ich machte mich auf zu meinem Treffpunkt. Wartete. Wartete. Und wartete. Jetzt war ich nicht mehr zu früh. Ich veranstaltete einen kleinen Tanz gegen die Kälte. Ich schrieb meinem Date und guckte um mich. Fehlanzeige. Dann eine Nachricht. Anscheinend muss man sich sehr sehr genau ausdrücken, wenn man einen Treffpunkt vereinbart. Aus irgendeinem Grund war er sauer. Keinen Bock auf das! Ich seufzte. Wie mühsam! Um mich herum immer noch glitzernde Fröhlichkeit. Ich schüttelte den kleinen Anflug von Frustration ab und schlüpfte zurück in winterlich verwinkelte Seitengassen. Ein bisschen weg von dem Trubel und überlegen, ob Tinder wirklich das Richtige für mich war.
Gedankenunterbrechung. Wwwtwwt. In meiner Tasche. Tatsächlich der Typ von vorhin! Okay, eh besser so, dachte ich mir und vereinbarte ein Treffen mit ihm, diesmal ganz genau.
© Clara Johanna Dettinger-Klemm 2020-09-30