von Hermann Karosser
Meine Mutter war eine absolute Traditionalistin. âDas haben wir schon immer so gemacht und das muss auch so bleibenâ. Ich bedauere nicht, dass sie mir diese Einstellung âvererbtâ hat. Am liebsten hĂ€tte ich es, wenn Weihnachten, Ostern, Geburtstage und Familienfeste immer noch so abliefen wie in meiner Kindheit. Am Heiligen Abend muss es vor der Bescherung SchweinswĂŒrstl und Gschwollne geben, am ersten Feiertag eine Gans, Ananasbowle zu Silvester, bunte Eier und ein RĂŒhrteig-Lamm zu Ostern.
Bei meiner Mutter konnte ich mich darauf verlassen, dass die Regularien dieser wichtigsten Eckpunkte des Jahres immer eingehalten worden sind. Meiner Frau danke ich, dass sie das mitmacht und keine VerĂ€nderungen fordert, die mein diesbezĂŒgliches Lebensbild ins Wanken bringen wĂŒrden. Sogar die WeihnachtsplĂ€tzerl backt sie nach den Rezepten meiner Mutter.
Wie sie hatte meine Mutter immer im November schon damit angefangen. Manchmal ist sie um 3 Uhr in der FrĂŒh aufgestanden, um die PlĂ€tzerlteige herzurichten. Nussbusserl, Makronen, Ischler Krapfen, Spitzbuam, Vanillekipferl ⊠an die zwanzig Sorten waren es nicht selten.
Vielleicht, weil sie 3 Töchter vor mir aufgezogen hat und sich halt nicht mehr umstellen wollte, durfte ich beim Kochen und Backen helfen, was fĂŒr mĂ€nnliche Nachkommen seinerzeit eher unĂŒblich war. Zum PlĂ€tzerlbacken bekam ich meine eigenen Backutensilien: Ein Nudelbrett, das Abbild dessen meiner Mutter, aber sehr viel kleiner, Nudlwoiga im Kinderformat und dazu passend die kleinen Ausstecher, Sterne, Monde, Dreiecke und mehr.
Den Teig bekam ich fertig von ihr geliefert. Ich rollte ihn sorgfĂ€ltig aus, nicht zu dick und nicht zu dĂŒnn und stach die unterschiedlichen Formen aus. Bevor sie vom Brett auf das Backblech wanderten, landete das eine und andere ungebackene PlĂ€tzchen, trotz schmunzelnd erhobenem Zeigefinger meiner Mutter in meinem Mund, denn der pure Teig schmeckte mir meistens genauso gut wie das Endprodukt. Nach dem Backen wurde noch mit Zuckerguss bestrichen und mit buntem Streusel dekoriert, fertig.
Meine Mutter buk jedes Jahr so viele PlĂ€tzchen, dass man eine Kompanie damit hĂ€tte versorgen können. Aber sie verschenkte sie auch groĂzĂŒgig, ging damit zu Freunden, Bekannten und ins Altenheim. Sie alle warteten jedes Jahr darauf und meine Mutter genoss das Bad in den Komplimenten, mit denen sie fĂŒr ihr köstliches Naschwerk ĂŒberschĂŒttet wurde. Ich fĂŒr meinen Teil war den ganzen Advent ĂŒber damit beschĂ€ftigt, Mutters raffinierte Verstecke fĂŒr die PlĂ€tzerl zu erkunden. Wenn ich erfolgreich war, nahm ich jede Bestrafung dafĂŒr in Kauf und naschte von den sĂŒĂen Köstlichkeiten, denn bei uns gabâs die WeihnachtsplĂ€tzerl erst ab Heilig Abend.
Damit bin ich wieder beim Thema âTraditionâ angekommen. Mit dieser haben wir in unserer kleinen Familie nĂ€mlich gebrochen. PlĂ€tzerl gibtâs schon im Advent. Und wenn der Weihnachtsbraten aufgetragen wird, dann ist die PlĂ€tzerlsaison zu Ende.
© Hermann Karosser 2020-08-10