von Roland Hummer
Die Tage im dichten, lebendigen Grün des Dschungels verstrichen wie ein einziger, unendlicher Atemzug – jeder Moment schien sich in die Ewigkeit zu dehnen, als wäre die Zeit selbst im Netz der Bäume gefangen. Doch irgendwann, trotz all der Magie, wurde es für uns Zeit, weiterzuziehen. Unser Ziel war der Fredberg – ein 380 Meter hoher, majestätischer Hügel, der wie ein königlicher Beobachter über den Baumwipfeln des Regenwaldes thronte. Die Gipfelplattform, eine schmale Felsformation, bot eine Aussicht, die nicht nur atemberaubend, sondern tief bewegend war – weit reichte der Blick über die endlose Wildnis des immergrünen Amazonas-Regenwaldes. Hier oben, umgeben vom tosenden Schweigen des Grüns, spürte man die gewaltige Schönheit und zugleich die erdrückende Unendlichkeit der Natur.
Das Fredberg-Gebiet war ein Kaleidoskop des Lebens. Es war die Heimat des Guayana-Schwarzspinnenaffen, der mit akrobatischer Eleganz durch die Baumkronen schwang – ein Meister der Luftakrobatik, dessen Rufe wie melodische Echos durch das Blätterdach hallten. Der Guayana-Felsenhahn, mit seinem leuchtend orangefarbenen Gefieder, erschien wie ein lebendiges Feuer, das zwischen dem dichten Grün aufleuchtete. Doch Vorsicht: Die Buschmeisterschlange, eine der größten und giftigsten Schlangen des amerikanischen Kontinents, lauerte hier ebenfalls – lautlos und unsichtbar im Dickicht verborgen. Neben diesen ikonischen Arten war die Gegend von einer unendlichen Vielfalt anderer Tiere bevölkert: farbenfrohe Frösche, die wie kleine Edelsteine glänzten, schrille Papageien, deren Rufe den Dschungel durchschneiden, und scheue Jaguare, die wie Geister durch das Unterholz schlichen. Der Dschungel lebte, atmete und brummte – ein Chor der Wildnis, in dem jedes Wesen seinen eigenen Klang beisteuerte.
Der akustische Teppich des Fredberg-Dschungels war unvergleichlich: Von den tiefen, resonanten Brülllauten der Brüllaffen bis hin zum sanften, rhythmischen Plätschern entfernter Bäche – jeder Laut erzählte eine Geschichte. In der Nacht erwachte ein neues Orchester: zirpende Grillen, der monotone Ruf von Eulen und das gelegentliche Knacken eines Astes unter den Schritten eines unsichtbaren Besuchers. Diese symphonischen Klänge waren nicht nur Hörgenuss, sondern auch Warnsignale und Orientierungspunkte in einer Welt, in der jeder Ton Bedeutung hatte.
Doch bevor wir den Fredberg erreichten, wartete eine weitere Herausforderung: die Fahrt von Brownsberg hinunter zur Hauptstraße. „Fahrt“ war dabei fast schon eine Untertreibung, denn was uns erwartet hatte, war ein erbitterter Kampf mit den Elementen. Der Off-Road-Wagen, ein wahres Arbeitstier, rutschte und schlingerte durch tiefe Schlammfurchen, während wir uns mit Macheten den Weg durch herabhängende Äste bahnten. Jeder Meter der Strecke forderte unsere ganze Konzentration, denn die Neigung des Fahrzeugs geriet immer wieder in gefährliche Bereiche, und es schien oft, als würden wir jeden Moment umkippen. Diese Reise war eine Prüfung unserer Nerven und unseres Mutes – und genau das machte sie unvergesslich.
© Roland Hummer 2025-03-18