Die Unibib/Leerstand des Campus Bockenheim

Yaso eyc

von Yaso eyc

Story
Frankfurt am Main 2016 – 2024

Nein, die Unibib in Bockenheim Frankfurt am Main ist nicht mehr so wie ich sie 2016, als ich im Oktober, mit dem Studium angefangen hatte, kennengelernt habe. Vor dem Leerstand des Campus Bockenheim, also dem Auszug der Goethe Uni vom historischen Campus, der auch einen wichtigen Teil Frankfurter wie deutscher Geschichte in sich vereint, konnte man hier nicht laut reden. Hier also im Café-Teil. Niemand sprach hier so laut, wie sie es jetzt tun. Sie, also junge Männer, die neu aus der Türkei ausgewandert sind, perfekt Türkisch sprechen und wahrscheinlich kein Wort Deutsch, aber englisch. Sie, die frischen Studentinnen, die auch von irgendwo aus Deutschland hergezogen sind und wahrscheinlich nichts über den Ort wissen, den sie für eine unbedeutende Bibliothek halten. Damals habe ich in diesem Gebäude noch nie Zigeuner:innen (und das meine ich nicht als rassistischen Begriff) chillen sehen. Nur Studierende, ältere Menschen und den einen Typ, der immer da bei den PCs abhängt und ein bisschen stark nach Schweiß riecht. So Männer, die verloren wirken, große Einkaufstaschen am Arm tragen, sind auch nichts Neues. Und obwohl es gerade um 18.10 Uhr schön belebt ist, mit Studierenden wie anderen Personen, die Zeitung lesen, wie früher, die Kaffee trinken, wie früher, die was am PC abtippen, wie früher… ist es nicht wie früher.

Ich habe dieses plötzliche Absterben des Campus Bockenheims nie verstanden. Nachdem ich im August 2020 aus Frankreich zurückgekehrt war, hatte sich dieser mit studentischem Leben befüllte Ort der Begegnung und des Lernens zu einer verlassenen, stimmlosen Ansammlung von immer noch nutzbaren Gebäuden verwandelt.

Ich erinnere mich an so viele Szenen, die sich hier vorgetragen haben. Ich erinnere mich an meine Freunde Karl und Nojan, an Josefine, an andere Bekanntschaften und wie oft ich es noch in letzter Minute geschafft hatte, Bücher, die ich abgeben musste, an der Ausleihe abzugeben.

Ich wünschte, die Uni würde in den Campus Bockenheim zurückkehren. Ich bin der Meinung, dass eine Sanierung und Renovierung sinnvoller wäre, als dieser ineffiziente und deprimierende Leerstand. Für jemanden, der seit fast neun Jahren an derselben Uni studiert, oder die Geschichte der Uni gut kennt, hinterlassen solche unverständlicherweise leblos-gemachte Orte Narben im Gedächtnis. Ich fühle, dass mich der Zustand des Campus Bockenheims und wie sich die anderen mit dem Campus in Verbindung stehenden Gebäude, was ihre Nutzung angeht, verändert haben, traumatisiert.

Denn ich weiß, dass die im Text genannten Orte nicht wieder in ihre alte Form konvertiert werden. Keiner weiß, wann man dem Leerstand ein Ende setzen wird. Wann die Unibib wie früher genutzt werden wird. Wann das studentische Leben am Campus Bockenheim zurückkehren wird. Wie ein Toter seinen Atem zurückbekommt.

© Yaso eyc 2024-12-02

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