Wie ein Sturm nimmt sie Einzug – auf leisen Pfoten schleichend, plötzlich und unerwartet ist sie da. Sie ist bereit, über mich herzufallen. Schlagartig bin ich total benommen und erstarrt. Alles dreht sich, mir ist schwindelig. Wie in einer anderen Welt, stehe ich neben mir – wie gefesselt und angewurzelt. Ich kann mich nicht mehr bewegen. Die aufkommenden Tränen löschen meine brennenden Augen. Mein Mund ist trocken und der Knoten im Hals erschwert mir den Atem. Mein Herz klopft so schnell, als würde es um sein Leben rennen. Meine schweißnassen Hände versuchen, meine zittrigen Beine zu beruhigen.
Sie kommt immer näher. Es ist ausweglos. Wie ein Stromschlag durchfahrt sie jede Zelle meines Körpers. Mit dem finalen Schlag in die Magengrube habe ich endgültig die Kontrolle verloren. Meine Gedanken drehen sich wie ein Kompass ohne Orientierung. Ich bin erstarrt und mein Körper im Überlebensmodus.
Wie so viele Male in der Vergangenheit, kommt sie auch heute wieder zu Besuch. Ich kenne sie nur zu gut. Nichts hat sie mit dem gegenwärtigen Moment zu tun. Sie kommt aus der Vergangenheit.
Ich schließe meine Augen, atme tief ein und aus. Mein Herzschlag verlangsamt sich, der Nebel im Kopf lichtet sich und ich nehme meinen Körper im Hier und Jetzt wieder wahr. Wie ein ruhender See sind meine Gedanken klar und meine Körperfunktionen gehen in den Normalzustand zurück.
Ich bin nun bereit, mit ihr zu sprechen. Sie freut sich, mich zu sehen. Sie kommt in guter Absicht, will mich beschützen und mich vor Schlimmeren bewahren. Sie weiß, dass das Erlebnis in der Vergangenheit mich tief verletzt hat. Sie hat damals gesehen, wie traurig und hilflos ich war. Sie versprach mir im Stillen, dass ich das zukünftig nicht mehr erleben muss und sie auf mich aufpasst. Deswegen ist sie auch heute wieder gekommen – die unsichtbare Löwin namens “Angst”.
Danke, dass du da bist. Ich schätze dich sehr. Doch ich möchte dir sagen, dass ich dich nun nicht mehr brauche. Bitte komme nur, wenn es wirklich gefährlich für mich ist. Heute entscheide ich, das Steuerrad meines Lebens mit Mut und Vertrauen zu übernehmen.
Meine Freundin ist einverstanden. Sie stupst mich nochmals an und schaut mir vertrauensvoll in die Augen. Dann zieht sie sich zurück. Von der Ferne aus wacht sie über mich und wenn ich sie brauche, dann ist sie sofort da, um mich zu beschützen.
“Eines Tages klopfte die Angst an die Tür. Der Mut stand auf und öffnete, aber da war niemand draußen.”
– Goethe –
© Bettina Nußdorfer 2022-01-04