von Henrike Vogel
Ich bin Modedesignerin aus Leidenschaft. Am meisten liebte ich florale Muster. Nicht diesen Abklatsch von Blumen. Ich wollte, dass die Blüten und Blätter lebensecht wirkten, so als könnten sie jeden Moment aus der Kleidung herauswachsen.
Da kam mir diese verwegene Idee. Wäre es möglich? Pflanzen durchbrachen selbst Asphalt, warum sollten sie nicht auch unsere Kleidung besiedeln?
Ich begann zu experimentieren. Ich stickte Blumen auf feine Erdpergamente, doch ihre Wurzeln fanden keinen Halt. Als sie schließlich anwuchsen, verdorrten sie.
Ich gab nicht auf, probierte Nährlösungen aus, die man mit einem Spray aufsprühen konnte, legte Tröpfchenbewässerungssysteme in der hauchdünnen Erdschicht an. Heraus kamen groteske Wülste, krümelnde Erde, tropfende Pullover und am schlimmsten: weiterhin traurig verkümmernde Pflanzen.
Schließlich gelang mir der Durchbruch. Die Kleider wirkten zunächst unscheinbar, schwarz, braun. Ich bepflanzte mich im März, ergrünte im April und erblühte im Mai. Von nun an gab es kein Halten mehr.
Ich verkaufte Efeukleider, Thymianhosen, Fliedershirts, Maiglöckchentücher, essbare Kressesonnenhüte und Rosenröcke, natürlich ohne Dornen, wobei es später tatsächlich Leute gab, die extra Langarmshirts mit Dornen an den Handgelenken bestellten, zur Selbstverteidigung, wie sie sagten. Für Kinder entwarf ich spielplatztaugliche Moosanzüge, die wirklich so gut wie alles wegsteckten. Nebenbei sorgten sie durch ihr Mikroklima für einen kühlenden Effekt.
In jedem Frühling verwandelten sich die Straßen der Städte in ein Blumenmeer. Zum Herbst hin trug man feurig gefärbten Ahorn, Eiche, Essigbaum oder Wilden Wein. Im Winter war immergrün der größte Trend. Saß man nur lang genug beieinander, konnte man fortan wortwörtlich fest- und zusammenwachsen.
Die Insekten kehrten zurück. Manchmal war das Summen der Hummeln und Bienen so laut, dass man sich nicht gut unterhalten konnte. Dann saß man einfach nur da und sah den Schmetterlingen nach.
© Henrike Vogel 2023-05-13