von CharlyAngelika
Sie war quadratisch, dunkelgrün und schimmerte im Sonnenlicht, die sogenannte väterliche Liebe. „Wer will sie zu spüren bekommen, solange ich noch da bin?“, lautete das Angebot an die abschiednehmende Familie. Vier Mädchen und ein Bub blickten auf den in Gold gefassten Stein am Ringfinger und lehnten unisono ab. Wohl wissend, dass Vati für längere Zeit weit fort zur Arbeit musste und monatelang nicht wiederkommen würde. Trotzdem! Selbst auf eine leichte, praktisch nur angedeutete Kopfnuss mit der locker geballten, edelsteinberingten Faust konnten alle gerne verzichten. In den Augen des gestrengen Vaters war neben dem Ernst auch der Schalk zu erkennen. Wenn man sich traute. Vor allem aber ging es um Respekt und Gehorsam während seiner Abwesenheit. Beides wurde von der väterlichen Liebe eingefordert, ohne sie austeilen zu müssen. Das wurde von allen zur Kenntnis genommen.
Keine Frage! Die Szene ist diskussionswürdig! Aber als Folge der Erziehungsmethode von damals wusste ich genau, welche Eigenschaft der Vater meiner Kinder NICHT haben würde. Die Familie, aus der mein Mann stammt, ging dann auch ganz anders mit erzieherischen Themen um. Zum Beispiel so:
Die Alm des Schwiegervaters hatte hinter der Hütte einen hübschen kleinen See dabei. Untertreibung! Traumhaft war er, naturbelassen, ohne Zaun rundherum, verwachsen, verzaubernd. Das Wasser der „Lacke“ diente noch bis Anfang der Neunziger als Viehtränke und dem Ausbringen von Dünger. Wenn die Sperre der Lacke geöffnet wurde, schwemmte der Wasserschwall den Mist über die Almwiesen. Später dann trank das Vieh aus dem Trog, zu dem eine Wasserleitung führte. Der Dünger wurde mit dem Miststreuer ausgebracht. Ab da hätte das Gewässer hinter der Hütte eine andere Funktion bekommen können. Wie verführerisch es war, dieses glitzernde Wasser! In allen Grün- und Blautönen, mit kleinen Wellen oder spiegelglatter Oberfläche lockte es Groß und Klein. Ein Sprung ins kühle Nass! Wie herrlich sich der anfühlen würde! Was für eine erfrischende Abkühlung wünschte man sich zwischen dem Umkehren der ausgebreiteten Mahden und dem Rechnen des fertig getrockneten Almheues. Leider kam es dazu nie: Als Schwimmteich zu verwildert!
Während wir Erwachsene auf dem Feld in der Hitze schwitzten, spielten die Kinder überall herum. Im Heu, bei den Schupfen, rund um die Hütte. Die großen Geschwister passten auf die Kleinen auf, alle hatten ihren Spaß. Wenn nur die Lacke nicht gewesen wäre! Eine ständige Sorge plagte mich. Hielten die Kinder Abstand? Aber das lockende Wasser hatte Ruhe vor ihnen, das strikte Verbot der Annäherung ohne Erwachsene wurde widerspruchslos befolgt. Wie konnte das sein?
Opa hatte, unter beifälligem Nicken seines Sohnes, auf seine Weise für Respekt und Gehorsam gesorgt: „Es ist nämlich so“, wusste er seinen Enkelkindern glaubhaft zu versichern, „in dieses Wasser kann man nicht hinein. Da drinnen liegt ein totes Pferd!“
© CharlyAngelika 2020-07-11