von AndreaSelene
Jetzt werde ich bald 60 Jahre alt. Die längste Strecke meines Lebens ist vorbei. Ich habe viele Jahre daran gearbeitet, Vergangenes loszulassen. Mein Leben hatte neben vielen Höhen auch einige Tiefen. Einsamkeit, Missbrauch, Existenzängste, Panikattacken, Krankheit und Tod schärften meine Fähigkeit zu verzeihen und die Hoffnung nie aufzugeben. Obwohl ich viel an mir gearbeitet hatte, gab es noch Trigger, die mich immer wieder in meine Ängste fallen ließen. Ich lebte damit, weil ich Techniken gefunden hatte, mich wieder auf beide Beine zu stellen, wenn mir die Angst den Boden unter den Füßen wegziehen wollte.
Zu Beginn des heurigen Jahres, in einem Augenblick, wo ich fĂĽr meine Tochter und meinen Enkel da sein wollte, trafen mich, auch durch Covid bedingt, abermals Panikattacken. Das GefĂĽhl nicht zu funktionieren, Erwartungen nicht zu entsprechen und als Oma zu versagen, begleitete mich ĂĽber viele Tage und Wochen und machte mich immer trauriger. Es ist fĂĽr die Umwelt schwer Panikattacken zu verstehen. Denn ĂĽber Angst spricht man nicht. Sie sieht man auch nicht. Und man könnte sich doch „zusammenreiĂźen“.
Eines Tages kam meine jĂĽngste Tochter und riet mir eine Therapie zu machen. „Echt jetzt, ICH, wo ich doch ohnedies schon so viel an mir gearbeitet habe“ Im ersten Moment verspĂĽrte ich Wut. Im zweiten Moment wusste ein Teil in mir, dass sie recht hatte. Ich musste nochmals hinsehen und diesmal genauer, oder wie sich dann herausgestellt hatte, musste ich anders als bisher hinsehen.
Alle Leser:innen, die meine stories gelesen haben, wissen bereits, dass ich ein sehr intuitiver Mensch bin. Und so bin ich auf die Suche nach einer geeigneten Therapeutin gegangen. Mir war nur eines wichtig: Sie oder er muss EMDR praktizieren. Das ist eine Methode zur Traumaauflösung. Die Suche war sehr schnell erfolgreich: Das Portraitfoto zog mich an und ich wusste, dass Miriam die Richtige für mich ist. Schon die erste Sitzung bestätigte mein Bauchgefühl.
Jetzt arbeiten wir zwei daran, meine in der Vergangenheit erlebten Traumas aufzulösen. Was für ein Segen: Situationen, die mich früher getriggert hätten, kann ich jetzt neutral beobachten. Sie ziehen mich nicht mehr in eine Unruhe oder noch schlimmer- in die Angst. Ich führe Tagebuch, schreibe die Sitzungen mit und erstelle Collagen, die mir helfen, alles einordnen und zu verarbeiten.
Ich bin ein weit freierer Mensch geworden. Dankbar fĂĽr den A…tritt meiner Tochter. Vielleicht hätte ich so weiter gemacht, wie bisher. Akzeptiert, dass es diese Trigger gibt.
Warum ich diese Geschichte schreibe? Weil ich dir zeigen möchte, dass Vergangenes nicht ungeschehen gemacht werden kann, aber es kann so verarbeitet werden, dass schlimme Erlebnisse nur mehr ein Kapitel deines Lebens sind, die du abgeschlossen im Ordner deines Lebens ablegen kannst.
© AndreaSelene 2024-10-04