Liebe hat viele Gesichter. Manche finden wir nicht schön. Gelegentlich schleicht Liebe wie eine Katze auf samtenen, leisen Pfoten daher – unspektakulär, unbemerkt oder sogar belächelt. Starre Denkgewohnheiten und Meinungen verstellen auch mir gelegentlich den Blick dafür.
Mir blieb fast die Luft weg als ich erfuhr, dass Lena seit mehreren Jahren das Haus nicht mehr verlassen kann. Eine äußerst seltene und schwer zu diagnostizierende Autoimmunerkrankung hatte sie völlig überraschend von einer gesunden, mitten im Leben stehenden, beruflich aktiven Frau in ein hilfloses Wesen verwandelt.
Bei einem gemeinsamen Frühstück mit ihrem Mann ist sie – einfach so- vom Sessel gekippt. Dank bester ärztlicher Versorgung und viel Disziplin ihrerseits, konnte sie sich nach und nach wieder einen gewissen Grad an Mobilität erkämpfen. Dennoch ist sie ans Haus gebunden und braucht für jeden Schritt eine Gehhilfe.
Tagelang beschäftigte mich die Angelegenheit. Fragen über Fragen kamen mir in den Sinn. Wie ist es wohl, wenn der Ehemann früh morgens das Haus verlässt um fernab in seine Praxis zu entfliehen? Wie gestalten sich Wochenenden und Urlaube, wenn der Partner sich in seinen besten Jahren befindet und man selber ans Haus gefesselt ist. Arbeitskollegen und Freunde, die anfänglich sicher regelmäßig vorbeikamen, kommen sie auch noch nach so langer Zeit? Wie auch immer ich die Sache drehte und wendete, ich konnte mir beim besten Willen kein positives Szenario vorstellen…
Ich beschloss Lena zu besuchen. Zeit hatte sie ja, und ich nahm sie mir. Als ich ihr Haus betrat stand sie gerade in der Küche und zauberte uns eine Kleinigkeit. „Was, kochen geht?“ staunte ich. „Ich muss mich halt dabei am Rollator anhalten:“ lachte sie.
Ihr Mann, ein attraktiver Kerl, leistete uns beim Essen Gesellschaft bevor er entschwand. Sie musste meine Gedanken erraten haben. Sie waren ein Paar mit vielfältigsten Interessen und Neigungen gewesen, das gemeinsam Hand in Hand durchs Leben ging. Jetzt lebt er sein Leben als verheirateter Single.
Ja, es gibt jemandem in seinem Leben verriet sie mir. Nein, leicht sei es anfänglich nicht gewesen. Eifersucht, Verlustängste, all das was eben hochkommt in solchen Situationen.
Leicht ist es bestimmt für keinen der Beteiligten, sicherlich auch nicht für die andere Frau. Lena spricht sehr nett von ihr. Einmal haben sie sich getroffen und gelegentlich telefonieren sie miteinander. Der Umgang ist respektvoll. Lena teilt ihren Mann mit einer anderen Frau weil sie ihn liebt und ist dankbar für das was ihr bleibt. Auch Ihren Mann muss ich bewundern, weil er nicht den einfachen Weg geht, sondern sich bemüht den Spagat zwischen diesen zwei tollen Frauen zu bewältigen.
Hut ab, auch so kann Liebe aussehen!
© Dotti-on-the-road 2019-08-22