von Irene Hülsermann
In der Urlaubszeit versorgte ihn normalerweise eine nette Nachbarin. Doch einmal war sie selber nicht da und eine andere stellte sich zur Verfügung. Hätten wir das doch nicht gemacht. Denn diese hatte nicht bemerkt, dass Leon sich am Hals schwer verletzt hatte. Gott-sei-Dank fanden wir ihn sofort bei unserer Rückkehr vor unserer Haustür. Er war mittlerweile ganz entkräftet. Der Tierarzt operierte ihn sofort und meinte, die Nacht hätte er sonst nicht überlebt.
Nach der OP hatte er keine andere Wahl als einen Trichter zu tragen. Und da passierte es. Irgendjemand hatte die Terrassentür gekippt. Ich war in der Küche, da überkam mich ein ungutes Gefühl und ich schaute ins Wohnzimmer. Da hing unser Kater in der gekippten Tür. Ich erschrak heftig und wusste erst gar nicht, was ich machen sollte. Ich dachte nur, ich muss ihn nach draußen schupsen. Also griff ich ihm unter dem Bauch und versuchte ihn nach oben und außen zu schieben. Er hatte Panik und kratzte mir deshalb mit dem scharfen Krallen die ganzen Arme auf. Das Blut lief nur so an meinen Händen herunter. Aber das war mir in diesem Augenblick vollkommen egal. Irgendwann war er draußen und rannte verschreckt davon. Nun suchte ich ihn überall, bis ich ihn unter der neuen Garage fand. Er ist in den Spalt hineingekrochen, kam aber offensichtlich wegen des Trichters nicht mehr hinaus. Endlich kam mein Mann nach Hause und wir überlegten, wie wir ihm helfen könnten. Ich redete auf Leon ein und lockte mit Leckerlis. Irgendwann versuchte er herauszukommen, drehte sich um und robbte rückwärts hinaus. Der Tierarzt, den wir danach aufsuchten, gab Entwarnung. Er hatte diese Aktion gut überstanden.
Mittlerweile war unser Kater schon 13 Jahre alt. Er sah immer noch außergewöhnlich schön aus. Sein weißes Fell mit den roten perfekten Abgrenzungen glänzte. Aber es fiel uns auf, dass er manchmal gegen die Wand lief. Der Tierarzt stellte fest, dass er nicht mehr gut sehen konnte. Ausgelöst von einem zu hohen Blutdruck. Er schickte uns weiter in die Tierklinik. Die hatten ein kleines Blutdruckmessgerät und bestätigten den Verdacht. Die Sehstörung ließ sich nicht mehr rückgängig machen, aber ab diesem Tag musste er Blutdrucksenker einnehmen.
Er lebte weitere drei Jahre. Mit 16 ging es ihm auf einmal extrem miserabel. Er übergab sich ständig, schmuste nicht mehr und zog sich zurück. Der Tierarzt stellte Leberkrebs fest. Um ihm weitere Qualen zu ersparen, entschieden wir uns ihn einschläfern zu lassen. Ich holte vorher meine Kinder ab, denn sie wollten sich von ihm verabschieden. Die weinenden Kinder haben mir fast das Herz gebrochen. Wir saßen abends zu viert im Wohnzimmer und haben nur noch geweint. Auch nach 12 Jahren vermissen wir ihn immer noch.
© Irene Hülsermann 2022-01-22