von Cordula_D
Der Perlenvorhang klirrte. âSie wollen sehen Ihre Zukunft?“, gurrte eine tiefe Stimme. Hanna hatte gerade den rĂ€ucherstĂ€bchenverhangenen Wohnwagen betreten und sah im Halbdunkel erstmal gar nichts, schon gar nicht ihre Zukunft. âĂh ja“, erwiderte sie dennoch, denn immerhin war sie dreiĂig Minuten die StraĂe auf und ab gegangen, bevor sie sich entschlossen hatte, hineinzugehen.
Das Schild mit der verschnörkelten Aufschrift Deine Zukunft gehört Dir hatte ihr einen kleinen Stich ins Herz versetzt. Der Satz löste etwas in ihr aus – sie meinte, etwas unternehmen zu mĂŒssen. Oder war es eine gewiefte Marketing-Strategie, die sie dazu verfĂŒhrte, achtzig Euro fĂŒr eine halbe Stunde Geschwafel auszugeben?
âSetzen Sie sich hierrr.“ Madame Kalinda, wie sie sich nannte, wies mit ihrer goldberingten Hand auf den staubigen Velours-Sessel neben dem Mosaik-Tisch am hinteren Ende des Wohnwagens. Eine Geste, die keinen Widerspruch duldete. Hanna hielt sicherheitshalber ihr Handy umklammert. Falls sie an einen MĂ€dchenhĂ€ndlerring geraten war, konnte sie schnell den Notruf wĂ€hlen. âFlugzeugmodus, sonst schlechte Auraâ, setzte Kalinda ihre Kundin in Kenntnis. Na, das wĂŒrde schon gutgehen ⊠Ansonsten war Hanna diese exotisch anmutende Dame ganz sympathisch, mit ihren feinen Runzeln und dem bunten Stirnband. Die moosgrĂŒnen Augen sahen Hanna mitfĂŒhlend an. Auf einmal spĂŒrte sie einen KloĂ im Hals, unwillkĂŒrlich zog sie ihre Schultern hoch.
âLeg deine HĂ€nde hierrr auf den Tisch.“ Hanna tat wie geheiĂen. Als sie sich auf das Mosaik-Muster konzentrierte, gelang es ihr sogar, sich zu entspannen. Kalinda legte ihre warmen, rauen HĂ€nde auf die Hannas, dann setzte sie beschwörend an: âIch sehe, du wurdest schon oft verlassen. In Zukunft wirst du noch öfter verlassen werden: Doch merke, jeder Abschied ist ein neuer Anfang…ich sehe Krankheit. Krankheit ist Teil deines Lebens…du wirst deinen Frieden finden mit ihr. Empfange sie und erlaube ihr zu gehen.“ Kalinda blickte Hanna fest in die Augen. âDu glaubst, du wurdest ungerecht behandelt. Ich sehe viel Wut und Trauer, sehr bald. Doch du findest ein Ventil in der Kunst. Du malst. Male weiter, Hanna. Male, als ginge es um dein Leben.“
Auf einmal nahm die Stimme der Wahrsagerin einen weniger mysteriösen, geschĂ€ftlichen Tonfall an. âNimm diese Visitenkarte von meiner Bekannten. Sie organisiert Kunstausstellungen von Amateuren und ist auf der Suche nach neuen Talenten.â
Hanna richtete sich auf und nahm das KĂ€rtchen. âOh, wie nett. Also gut, was macht die Sitzung, bitte?â âKeine Ursacheâ, erwiderte Kalinda und lieĂ ihren Goldzahn aufblitzen. âBezahlung, wenn erstes Bild verkauft.“
Vor dem Wohnwagen hustete Hanna erstmal den RĂ€ucherstĂ€bchenqualm aus. Nie hatte sie eine KĂŒnstlerkarriere in ErwĂ€gung gezogen. Aber vielleicht war sie selbst ihre gröĂte HĂŒrde auf dem Weg zu sich selbst. Von nichts kommt nichts, dachte sie zuversichtlich und tippte die Nummer auf der Visitenkarte in ihr Handy ein.
© Cordula_D 2024-10-13