Die Waldfrau

Elisabeth Hechenbichler, geborene Hetzenauer

von Elisabeth Hechenbichler, geborene Hetzenauer

Story

Eine ältere Frau wohnte über ein Jahr lang in einem verfallenen hölzernen Unterstand im Wald. Es gab dort weder Türen noch Fenster, keinen Strom, kein Wasser, keine Toilette, und keine Koch- und Heizmöglichkeit. Als Licht diente eine Taschenlampe und sie schlief auf einer Matratze, die auf dem Erdboden lag. Ihre Kleidung musste sie an den Wänden aufhängen, damit sie vor Nässe verschont blieb. Mich schockierten ihre Wohnverhältnisse.

Nicht zum ersten Mal in ihrem Leben scharte sie Katzen um sich. Das Wasser, das sie für sich und die Tiere brauchte, musste sie mit einer Gießkanne vom Bach oder einem weiter entfernten Brunnen zu ihrer Hütte transportieren. Im Sommer konnte sie dafür und für Einkäufe ein Fahrrad benutzen, doch im schneereichen Winter ging sie kilometerweit zu Fuß oder stoppte Autos.

Trotz ihres Elends war sie eine fröhliche, lebhafte und begeisterungsfähige Frau, weshalb viele sie mochten. Mitfühlende Menschen gaben ihr Decken und Planen, mit denen sie den Schuppen etwas abdichtete, damit es nicht mehr hineinschneite.

Wie kam es dazu, dass sie obdachlos wurde und im Wald wohnte?

Anfangs unterschied sich ihr Leben nicht von dem vieler anderer. Sie war verheiratet und hatte drei Kinder. Der Gatte lernte eine andere Frau kennen und ließ sich scheiden. Die Kinder blieben in der gewohnten Umgebung beim Vater und der neuen Frau, während ihre Mutter sich eine eigene Wohnung und einen Arbeitsplatz suchen musste.

Die Leere in ihrem Leben füllte sie mit Haustieren. Immer mehr Katzen, Kaninchen, Frettchen, Papageien, und sogar eine Würgeschlange, lebten mit ihr in der Wohnung. Von ihrer kleinen Rente erhielten die Katzen Kratzbäume, Pölster und verschiedene Spielsachen. Für die Papageien gab es Volieren. Säckeweise Futter schleppte sie für die Tiere nach Hause. Bauern schenkten ihr öfters Heu und Stroh.

Natürlich war bei so vielen Tieren die Reinhaltung einer Wohnung schwierig und es kam zweimal zu Delogierungen, weil die Räume komplett verschmutzt waren. Sie erinnerten mehr an einen Stall als an einen Wohnraum. Sie sprach bei mehreren Gemeinden als Wohnungssuchende vor, doch ihr Ruf als Katzenfrau eilte ihr voraus und es gab nur Absagen für sie, weshalb sie obdachlos wurde und blieb.

Mitten im Winter wurde zufällig meine kleine Mietwohnung frei und ich nahm sie auf, weil sie mir leid tat.

Einige Nachbarn im Haus lehnten sie anfangs als Mieterin ab. Bald wurde sie schwer krank und operiert. Das Krankenhaus teilte ihr mit, dass ihre verbleibende Lebenszeit sehr gering sei. Daraufhin wurden die Mitbewohner freundlicher, worüber sie sich freute.

Zu ihrem 70. Geburtstag richteten ihr zwei ihrer Kinder eine Geburtstagsfeier aus. Der Gesundheitszustand verschlechterte sich schnell und ihre Spaziergänge wurden kürzer und seltener. Sie war viel zu Hause. In diesen letzten Lebensmonaten wurde sie von ihrer Schwester mit Familie, ein paar Bekannten, darunter Eva und Erika und von mir begleitet, bis sie starb.

© Elisabeth Hechenbichler, geborene Hetzenauer 2022-09-23

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