von Hermann Karosser
Wenn die Pandemie etwas Positives an sich hat, dann das, dass an Orten und StĂ€tten, die von AusflĂŒglern und Touristen vereinnahmt und ĂŒberschwemmt worden waren, nun wieder Ruhe und Beschaulichkeit eingekehrt sind und auch uns Einheimischen Besuche wieder VergnĂŒgen bereiten.
Renate und ich sitzen im hinteren Teil der Altöttinger Gnadenkapelle, mĂŒde und erschöpft, aber glĂŒcklich es wieder geschafft haben. Wie jeden Karfreitag oder Ostermontag in den letzten 20 Jahren sind wir von zu Hause aus hierher gewallfahrtet. 17 Kilometer in 3 Ÿ Stunden, das ist fĂŒr trainierte Menschen ein Klacks, aber fĂŒr uns immer wieder eine schöne Leistung.
Neulich haben wir festgestellt, dass wir gar nicht mehr wissen, welches Anliegen uns seinerzeit veranlasst hat, diesen Bittgang zum ersten Mal zu machen, aber schlieĂlich ist es zu einer vertrauten Regel geworden, die wir ohne Zwang nie brechen werden.
Wallfahrten hat Tradition in unserer Familie. Mein Opa zum Beispiel ist jedes Jahr von Passau aus zu FuĂ alleine nach Altötting gegangen. Er hat unterwegs einmal ĂŒbernachtet und auf den Stationen seines Weges kannte man ihn schon und brachte ihm viel Sympathie entgegen. Was mir selbst nicht bekannt war, aber mein Bruder Elmar wusste, ist der Anlass fĂŒr diese Wallfahrt: GroĂvater Schwarz musste in keinem der beiden Weltkriege, die er erlebte Wehrdienst leisten. Er saĂ sogar schon einmal in einem Zug auf dem Weg an die Front. âDie Heilige Mutter Gottes von Altötting hat mich aber gerettetâ, muss er erzĂ€hlt haben âund man hat mich in letzter Minute aus dem Zug geholtâ. â Als er den Weg nicht mehr zu FuĂ schaffte, lieĂ er sich mit dem Auto fahren, zuletzt mit seinem eigenen Mercedes.
Ich gestehe, dass ich eigentlich keinen Wunderglauben habe, aber wir nehmen das Wallfahren als eine Art Meditation, um ein wenig in uns zu gehen, uns an die Ereignisse des vergangenen Jahres zu erinnern und dabei die wunderschöne Landschaft im Schritttempo an uns vorĂŒberziehen zu lassen.
Der Weg fĂŒhrt uns von MĂŒhldorf aus nach Töging, teilweise am Innkanal entlang. Vom sogenannten Wasserschloss aus gehen wir bis Neuötting am Inn entlang, der hier ruhig und breit dahinflieĂt und damit das Seinige zu unserer Entschleunigung beitrĂ€gt. Vorbei gehtâs an von Bibern bis auf einen winzigen Kern angenagten BĂ€umen, dem Anglerparadies am Silbersee des Inn und durch Schilf und Auwald dann den steilen Hang hinauf, wo wir schon den âWaldâ aus TĂŒrmen von Stiftspfarrkirche, Basilika St. Anna, St. Konrad, St. Magdalena und natĂŒrlich der Gnadenkapelle zum Greifen nahe sehen.
SpĂ€testens jetzt freuen wir uns nicht nur auf die besinnlichen Minuten unter der Schwarzen Madonna in der heimeligen Kapelle, sondern auch auf das WeiĂbier und den Wurstsalat danach, zudem sich meist unsere Kinder gesellen, um uns zu ersparen, auch den Heimweg wieder âauf Schusters Rappenâ hinter uns bringen zu mĂŒssen.
© Hermann Karosser 2021-01-15