von Lorenz Graf
Unsere Tochter hatte viele Warzen auf der Fußsohle, die nicht nur lästig waren, sie schmerzten auch. Alle Behandlungen bisher waren vergebens. Die Medizin versagte kläglich. Alles Schmieren, Schneiden, Vereisen bei Hautärzten half nichts. Auch in der Hautklinik brachte man keine Besserung zustande. Die Warzen blühten und störten weiter.
Meine Gattin machte eine alte Frau ausfindig, die erfolgreich Warzen wenden (heilen) könne. Ihr Name war Schoissengeier. An einem Sonntagnachmittag machten wir uns alle drei auf den Weg zu dieser geheimnisvollen Frau. Es stellte sich heraus, dass sie ein sehr freundliches Mütterchen war, das trotz ihres Alters -später erfuhren wir, dass sie schon 90 Jahre alt ist -noch allein in ihrem Haus wohnt. Sie erzählte uns: „Das Warzenwenden habe ich von meiner Großmutter übernommen. Dazu muss man einen Zwirnfaden um die Warze herumlegen und einen geheimen Spruch leise murmeln. Das muss man je nach Warze öfter wiederholen. Dann vergrabe ich den Faden neben der Dachrinne wegen der Feuchtigkeit. Wenn er verrottet ist, fällt auch die Warze ab“.
Meine Tochter blickte mich an, ich erwiderte ihren Blick und wir hatten die größte Mühe, nicht lauthals darauf loszulachen. Wir unterdrückten mühsam das Lachen, schon deshalb, weil meine Frau uns mit strengen Blicken bedachte. Irgendwie gelang es mir, die alte Frau zu fragen, ob das immer geholfen habe. „Ja“, sagte sie, „nur einmal fiel die Warze nicht ab. Da habe ich wegen meiner schlechten Augen statt eines Zwirnfadens einen Nylonfaden erwischt. Und der ist nicht verrottet.“
Für meine Tochter und mich gab es kein Halten mehr. Unter dem Vorwand, dringend die Toilette aufsuchen zu müssen, verließen wir das Zimmer, stürzten ins Freie und platzen los. Wir lachten, dass uns die Tränen aus den Augen quollen. Dennoch beschlossen wir, die Prozedur über uns ergehen zu lassen. Was wir auch taten. Die gute Frau legte den Faden auf die Warzen, murmelte vor sich hin und verknäuelte dann den Zwirn zwischen ihren Fingern. Später will sie ihn im Garten vergraben.
Wir bedankten uns bei der Frau, die sich weigerte Geld anzunehmen, verabschiedeten uns freundlich und wünschten ihr alles Gute. Beim Gehen flüsterte sie meiner Frau zu: „Du hättest auch die Fähigkeit , du würdest es auch können.“ Seither sage ich manchmal „meine liebe Hexe“ zu ihr.
Eines Tages – ich weiß nicht mehr wieviel Zeit vergangen war – kam meine Tochter verschreckt zu mir und sagte: „Alle zwölf Warzen sind weg! Einfach über Nacht verschwunden.“
Ein Hautarzt hat mir später gestanden: „Die Erfolgsquote dieser Frau liegt viel höher als unsere Methoden je erreichen. Wir wissen nicht, warum das so ist.“ Wenn ich seither etwas von Hautarzt oder Hautklinik höre, kann ich mir ein Lächeln nicht verkneifen und ich verbeuge mich in Ehrfurcht im Geiste vor der Frau Schoissengeier.
PS: Zu meiner Warze sagte sie: „Die kann ich nicht wenden“. Später ergab eine Untersuchung, dass es sich um bösartiges Gewebe handelte.
© Lorenz Graf 2019-04-11