Meine Mutter wurde 1920 geboren und ist als eines von 12 Kindern in der Nähe von Zwettl im Waldviertel in Niederösterreich aufgewachsen.
Sie hatten gemeinsam und mit den Nachbarskindern immer viel Spaß, flickten alte Lumpen zusammen und spielten damit Ball.
Im Sommer waren sie barfuß unterwegs. Geld für Sommerschuhe gab es nicht. Das Leben war einfach und glücklich.
Sie hat mir ihr schönstes Weihnachtserlebnis aus ihrer Kindheit erzählt.
Das Christkind hatte eine Haube gebracht. Nur diese Haube gefiel meiner Mama gar nicht. Die grüne Farbe und das Muster waren scheußlich. Die Wolle war rau und kratzte am Kopf. Meine Mutter war sehr unglücklich, dass ihr das Christkind so ein hässliche unangenehme Kopfbedeckung geschenkt hatte. Sie schluchzte vor sich hin.
Ihre Mutter erklärte ihr, dass sie froh sein müsse, überhaupt eine Haube bekommen zu haben. Dass andere Kinder gar keine Haube hätten. Dass sie nicht so undankbar sein sollte.
Ihr Vater reagierte ganz anders. Der sagte: „Da hat das Christkind wirklich keine schöne Haube ausgesucht. Ich glaube, es wird sie sicher umtauschen. Weißt du was, wir legen sie auf das Fensterbrett. Das Christkind wird sie holen und eine schönere vorbeibringen. Ich bin überzeugt davon.“
Leider habe ich meinen Opa nicht wirklich kennengelernt. Ich war ich noch klein, als er gestorben ist. Ich kann mich nur undeutlich an einen ruhigen alten Mann mit runder Brille erinnern, der gerne gelesen hat.
Er hat recht behalten. Das Christkind hat die Haube umgetauscht. Meine Mama legte sie aufs Fensterbrett. Am nächsten Morgen war sie weg.
Ja, Zeit zum Umtauschen braucht jeder, auch ein Christkind.
Doch am übernächsten Morgen lag da eine schöne, leuchtendrote Haube aus weicher angenehmer Wolle auf der Fensterbank. Meine Mutter freute sich sehr und juchzte, als sie sah, dass ihr Wunsch in Erfüllung gegangen war.
Sie probierte sie gleich an. Sie fühlte sich weich, warm und kuschelig an.
Und dann sah sie auch einen weiß-goldenen Lichtschein davonhuschen. Da war sie sicher. Das war das Christkind gewesen.
Danke, liebes Christkind, murmelte sie vor sich hin.
Mein Opa lächelte selig seinem Kind zu und meine Mutter strahlte ihn an. Damals war es üblich, dass die Kinder mit den Eltern per Sie waren.
„Herr Vater, ich freu mich so!“ Sie umarmte ihn stürmisch. Weihnachten war gerettet.
© 2019-12-10