Die Welt endet nicht in Tokio

Anna Karapetyan

von Anna Karapetyan

Story

„Konnichiwa!“ Mit diesem Wort und einer kleinen Verbeugung begrüßte mich die Kellnerin am Tresen eines Cafés im Herzen der größten Stadt Japans.

Meine Aufregung und Vorfreude waren seit Beginn meiner Reise sehr groß, denn mein sehnlichster Kindheitswunsch, Tokio zu bereisen, ging endlich in Erfüllung. Als ich damals meinen Dienstplan öffnete und die drei magischen Wörter „NRT” las, konnte ich mein Glück kaum fassen. Mein Arbeitgeber schickte mich in das Land der aufgehenden Sonne und ich hätte vor Freude am liebsten laut losgeschrien.

Ich bezahlte meinen Kaffee und machte ebenfalls eine leichte Verbeugung. Diese Geste, die Höflichkeit und Respekt widerspiegelte, war so ansteckend, dass ich mich im Laufe meines Aufenthaltes immer wieder dabei ertappte wie ich es gleichtat. Die Kellnerin lächelte mich an und ich verließ mit meinem heißen Getränk das Lokal. Nun stand ich da, mitten auf dem Shibuya Crossing, einer der berühmtesten Kreuzungen der Welt, wo die Fußgänger die Straße von jeder Seite überqueren konnten, ohne von Autos behindert zu werden. Bei Grün lief ich los, blieb mitten auf der Kreuzung stehen und schaute mich um. Modisch gekleidete Männer und Frauen, die Anzüge, Kleider, flippige Hosen und Blusen trugen sowie Sprösslinge in ihren Schuluniformen und mit bunten Rucksäcken strömten an mir vorbei. Leuchtreklame und Werbevideos strahlten von den Hochhäusern zu mir herunter. Die Energie, die diese Stadt aufwies, war überwältigend, energisch, aber gleichzeitig auch friedlich und harmonisch. Die Straßen waren blitzblank. Man hatte den Eindruck als könne man vom Boden essen.

Meinen Kaffee nippend, ging ich weiter zur gegenüberliegenden Straßenseite. Menschen strömten weiterhin an mir vorbei, einige lachten und machten Selfies, andere unterhielten sich, andere wiederum waren fokussiert, in Gedanken. Ich bemerkte eine Hachiko Statue, die dem Akito-Hund Hachiko gewidmet war, der in Japan bis heute als Inbegriff der Treue angesehen wird.Neben der Statue befand sich eine kleine Holzbank, auf die ich mich setzte. Übermüdet vom Ankunftstag, aber glücklich genoss ich jeden Moment, den mir diese Stadt schenkte. Die untergehende Sonne glitzerte in den Fenstern der Gebäude und erinnerte mich an ein bekanntes japanisches Sprichtwort: „Hebt man den Blick, so sieht man keine Grenzen.“

Die Welt endet nicht in Tokio, aber sie kann definitiv dort beginnen.

© Anna Karapetyan 2021-02-21

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