Die Wohnung

Christian König

von Christian König

Story
2019

Ich betrat die Wohnung das erste Mal an einem dunklen Novembernachmittag. Dem modrigen Geruch nach, waren die Fenster monatelang nicht geöffnet worden. Ich durchschritt das leere Wohnzimmer. Der holzfarbene Laminatboden knirschte beim zweiten Schritt laut auf. Zum Fenster waren es fünf Schritte. Ich legte eine Handfläche auf die Scheibe und beobachtete wie sich der Umriss davon langsam wieder auflöste. Dahinter das Nachbarhaus, ebenfalls zwei Stock hoch und in der selben Farbe angestrichen wie das Gebäude, aus dessen Fenster ich nun blickte. Nur eine einzige Wohnung gegenüber war beleuchtet. Die wechselnden Szenen eines Filmes ließen die zugezogenen Vorhänge in einem Farbspektrum zwischen weiß und dunkelblau erstrahlen. Die Kombination aus diesem Anblick und den kalten Wänden um mich herum, zündete explosionsartig den Drang in mir, auf der Stelle meinen Darm entleeren zu müssen. Die Beine überkreuzend, in die Knie wippend, ließ sich, mit einem Schweißausbruch als Begleiterscheinung, der Lauf der Dinge im letzten Moment noch vermeiden. Das Unaufschiebbare zu verschieben ist schon immer mein Spezialgebiet gewesen. Erst jetzt wurde ich mir der absoluten Stille um mich herum bewusst. Nur das Ticken des Sekundenzeigers meiner Armbanduhr nahm ich wahr. Ein Kompass der ständig in eine andere Richtung zeigt. Wer ihm folgt kommt niemals an. Aber ich band mir das Ding jeden Morgen sorgfältig um mein Handgelenk. Ich ging mit der Zeit und mit der Zeit zog ich mich immer mehr zurück .

Der Umzug an einen stillen Ort würde mir gut tun, sprach ich mir selbst immer wieder zu. Hier war ich nun. In einer Stadt aus der die meisten Menschen aufgrund des Mangels an Arbeitsplätzen schon lange weggezogen waren. Daher auch die vielen günstigen leerstehenden Wohnungen. Alles erschien mir perfekt. Zumindest für meine Zwecke. Tags darauf zog ich ein. Ich brachte Gewand und das nötigste Zeugs in drei Koffern. Das alte Doppelbett, die zwei Kästen, das Bücherregal und meinen Schreibtisch überstellte ich mit einem Kleinbus, den ich mir von einem Freund lieh. Er war als einziger von mir in meine Umzugspläne eingeweiht worden.

Mit dem Einzug in die Wohnung sollte sich endlich alles ändern. Diese Geisterstadt nährt sich von Einsiedlern. Hier kam man selten in die Verlegenheit, ein längeres Gespräch mit jemanden führen zu müssen. Ich mochte das. Hier konnte ich mich voll und ganz auf das Schreiben konzentrieren. Etwas, das ich zuvor immer vor mir herschob, obwohl ich ahnte, wie befreiend es sein würde, wenn ich dieses Ventil endlich öffnen würde. Nun sollte es soweit sein. Ich konnte beginnen. Den Schreibtisch hatte ich vor ein Fenster gerückt. Abends mochte ich Kerzenbeleuchtung am liebsten. Der Bildschirm in der Wohnung gegenüber flimmerte. Die Wände strahlten immer noch Kälte aus, aber meinen Händen war es warm geworden. Ich griff zur Füllfeder und begann zu schreiben.

© Christian König 2020-09-27