von Lotte Maria Kaml
Jeder, der mich kennt weiß, dass ich Bücher liebe. Das große Bücherregal in meinem Wohnzimmer ist bummvoll, am Dachboden stehen, sorgfältig in Kisten verpackt, Exemplare, die ich nur einmal gelesen habe und an denen mein Herz nicht so hängt. Es war vor etwa dreißig Jahren, also vor einer gefühlten Ewigkeit. Ich wohnte damals in einem Mietshaus mit sechs anderen Parteien. Neben den Garagen stand der Papiercontainer. Eines Tages wollte ich die Werbeprospekte der vergangenen Woche entsorgen. Ich hob den Deckel des Containers in die Höhe und traute meinen Augen kaum: jemand hatte Bücher weggeworfen. Alte Bücher, mit beschädigtem Einband, man sah es ihnen an, dass sie schon oft gelesen wurden.
Ich fischte sie natürlich heraus, eines nach dem anderen. „Brehms Tierleben“ in sieben Bänden, zwei Bücher von Charles Dickens, Prosa-Gedichte von Cäsar Flaischlen aus dem Jahre 1915 in schöner alter Schrift, Ludwig Ganghofer und noch einen richtig dicken, schweren Wälzer im Großformat. Ich holte einen großen Karton, im Eiltempo. Erstens wollte ich nicht, dass mich jemand bei meinem Tun beobachtet, zweitens musste ich diese Bücher einfach haben. Als ich wieder in der Wohnung war, nahm ich mir zuerst das dickste davon vor (es umfasst 1559 Seiten). Mehr als mein halbes Leben lang begleitet es mich seit diesem Tag.
Es muss wohl einmal so eine Art „Hausbibel“ gewesen sein. Geschrieben von Pater Martin von Cochem, verlegt im Jahr 1868, mit schwarz-weiß Illustrationen. Mitten drin eine ausklappbare Landkarte „Das Heilige Land aus der Vogelschau“. Ich fing an, darin zu blättern. Erstaunt stellte ich fest, dass nicht nur alle bekannten Bibelgeschichten darin festgehalten sind, auch Themen, mit denen ich in einem „Gebetbuch“ nicht gerechnet hatte, werden darin aufgegriffen.
„Von der Hochzeit Mariä und deren Schönheit“, „Von der höllischen Kälte“. In meiner Kindheit hat man uns Schauergeschichten vom Höllenfeuer erzählt… Dann entdeckte ich noch etwas. Zwischen den Buchseiten steckten ein paar Heiligenbildchen, Andenkenbilder aus dem 18. Jahrhundert gestaltet in finsterem schwarz-weiß und eine Postkarte.
„Feldpost“ steht auf dem Stempel. Datiert vom 13.12.1942. Der Gruß eines Soldaten an seine Mutter. Ein kurzer Gruß, mit Bleistift geschrieben. Die Nachricht, dass es ihm „gut geht“. Ich dachte mir, hoffentlich hat seine Mutter diese Postkarte in dem Buch aufbewahrt zum Dank dafür, dass er den Krieg überlebt hat und wieder daheim ist. Hoffentlich nicht zum Gedenken an ihn. Wer weiß?
Bücher erzählen Geschichten. Bücher verraten Geheimnisse. Bücher leben. Für mich jedenfalls. Und manchmal muss man im wahrsten Sinn des Wortes auch zwischen den Zeilen lesen, damit man weiß wie wichtig sie sind. Nie im Leben könnte ich eines meiner alten Bücher „entsorgen.“ Irgendwann werden sie den Weg alles Irdischen gehen: Asche zu Asche, Staub zu Staub. Aber sicher nicht vor mir!
© Lotte Maria Kaml 2020-06-06