Die Würze des Lebens

Astrid Berzen

von Astrid Berzen

Story

Der erste Bissen meines gefüllten Crêpes, ließ meine Geschmacksnerven explodieren. Die Kombination aus geschmolzenem Rohrzucker und den noch intakten Zuckerkristallen, die zwischen meinen Zähnen knirschten, verbreitete eine angenehme Süße in meinem Mundraum. Der warm-würzige Geruch des Ceylon-Zimts harmonierte perfekt mit dem Geschmack des Zuckers.
Es war Dezember 2023 und mein Körper befand sich auf dem Weihnachtsmarkt meines Heimatdorfes. Meine Seele wanderte jedoch mit jedem Bissen weiter zum Crêpes-Stand am Eiffelturm, an dem ich dich im Juli 2014 kennengelernt hatte.
Louis! Wieso klang alles auf Französisch so viel schöner? Bei der Aussprache deines Namens spitzten sich meine Lippen zu einem sanften Kreis, der perfekten Form für einen kurzen Begrüßungskuss auf die Wange, so wie du es mir gezeigt hast. Du warst der Cousin meiner Austauschpartnerin und hast mir viel über die französische Küche beigebracht, weil du gerade deine Ausbildung als Koch in einem renommierten Hotel angefangen hast.
Zusammen haben wir die süße Nachspeise in deiner Wohnung zubereitet, als du gesehen hast, wie gut die Crêpes mir geschmeckt haben und dein Rezept war definitiv besser als das vom Stand am Eiffelturm. Zwischen dem Zischen des auf die Pfanne tropfenden Teiges und dem Öffnen der Servietten-Packung ist die Zeit stehen geblieben, weil du mich mit deinen braunen Augen so intensiv angeschaut hast:« Tu as de la cannelle sur la joue », hast du gesagt, bevor du mir mit einem – für einen siebzehnjährigen Teenager – wirklich beeindruckenden Selbstbewusstsein über die Wange gestreichelt und mich anschließend zu dir hingezogen hast. Unser Kuss war lang und süß, genauso wie deine Crêpes.
Auch nachdem der Kontakt zu meiner Austauschpartnerin längst eingeschlafen war, haben wir uns regelmäßig Briefe geschrieben und im Februar 2016 sind wir ein Paar geworden. 2017 hast du dann einen Job als Koch in Deutschland gefunden und wir haben ein Jahr lang zusammen gewohnt, bis ich eines Abends nach Hause gekommen bin und gesehen habe, dass alle deine Sachen weg waren. Ohne ein Wort hast du mich verlassen und noch nicht einmal einen Brief hinterlassen. Ich werde dir nie verzeihen und möchte dich auch nicht zurück, aber ich weiß noch, dass ich mich seit unserem ersten Zimtkuss im Juli 2014 nie wieder so lebendig gefühlt habe. Was ist mit der Würze meines Lebens passiert?
Wieder zurück in der kalten Gegenwart des deutschen Winters beschloss ich plötzlich, dass ich wieder reisen wollte. Paris war nicht nur deinetwegen atemberaubend, sondern auch wegen der Vielfalt der neuen kulturellen Eindrücke. Ich möchte das Curry Indiens schmecken, das Basilikum Italiens und den Wasabi Japans und vielleicht lerne ich dabei wieder jemanden wie dich kennen, der mich auf den Reisen des Lebens begleitet, aber – im Gegensatz zu dir – bleibt.

© Astrid Berzen 2024-09-17

Genres
Anthologien