von Maria Büchler
So viele Bücher habe ich gelesen oder Hörbücher gehört im Jahr 2015. Damals war ich bereits pensioniert und stürzte mich auf die Neuerscheinungen. Die haben schon immer meinen Jagdinstinkt entfacht. Zu dieser Zeit hatte ich auch regelmäßig Zugang zu umfassenden Informationen, die den Büchermarkt betrafen.
Dabei habe ich kaum Bücher gekauft. Viele schenkte mir ein damaliger Freund, und fast jede Woche gewann ich eines bei Vorablesen. Und meine geliebte Bibliothek! Sie hielt stets eine große Anzahl an Neuheiten bereit. Wir konnten gezielt Wünsche äußern, die meist erfüllt wurden.
Immer, wenn ich das Bourbaki-Gebäude betrat und die Treppe emporstieg, bebte ich vor Erwartung, was für mich bereitlag, in der Nische der brandneuen Schätze zu finden sein, welche Filme ich diesmal vorfinden würde. Es war wie der Eintritt ins Paradies.
In ein teures Paradies freilich, denn jede Entlehnung, jede Reservation, jede Verlängerung kostete extra. Nicht selten ließ ich 30 Franken am Tresen liegen, und das jede Woche. Später wurde ein Abo eingeführt. Damit kam ich bedeutend günstiger davon. Doch um mehr Möglichkeiten nutzen zu können, bezahlte ich einen weit höheren Preis.
„Sie sind unsere beste Kundin“, teilte eine Angestellte mir mit. Ja freilich, kam ich doch nicht selten öfter als einmal wöchentlich. Doch nicht nur ich wartete sehnsüchtig darauf, dass sich die Pforten zum Garten Eden öffneten. Regelmäßig stand eine ältere Dame ganz vorn auf den untersten Stufen, die pfeilschnell reagierte, sobald die Glastür beiseite glitt.
Ihr Ziel war aber nicht der Tresen für die Rückgabe von Medien. Nein, sie bog nach links ab und strebte dem hintersten Lesetischchen zu, deponierte dort Mantel und Handtasche, holte die Tageszeitungen und ließ sich einen Kaffee aus der Maschine. Sechsmal die Woche verbrachte sie im hintersten Winkel der Stadtbibliothek ihren Morgen. Vermutlich brachte sie in der Tasche auch noch Gipfeli mit.
Der Klang der Aluminiumtreppe liegt mir noch im Ohr. Mit ihr erklomm ich die Galerie mit den ausgedehnten DVD-Angeboten. Auch hier führte mein erster Weg zu den Neuzugängen. Auf dieser Etage lagen ebenfalls die PC-Tische, und es war interessant zu sehen, wer alles dort den Kopf hob, wenn meine Schritte laut wurden. Gern sah ich von hier aus hinunter zur riesigen Kinderabteilung mit Sofas und Spielecken.
356 Bücher las ich 2015. Das geht sehr gut, wenn ein Teil beim Kochen, Essen und der Hausarbeit gehört werden kann. Ich muss jedoch gestehen, dass ich mich damals nicht sonderlich viel bewegt, sondern lieber stundenlang in der Sonne gebraten habe. Auch das Fernsehen lockte mich nicht. Letztes Jahr waren es hundert weniger, aber Lesen ist nach wie vor meine liebste Beschäftigung. Bücher lassen mich alles andere vergessen. Ich tauche ab in fremde Welten, ferne Länder, komplizierte Schicksale. Lesen – eins vom Schönsten für mich.
Foto: Emil Widlund / unsplash
© Maria Büchler 2023-07-20