von AlfonsX
Sie rief ihn an, bedrückt, und teilte ihm mit, dass ihr Vater vor drei Tagen überraschend gestorben sei. Er solle doch bitte vorbeikommen.
Angel steuerte seinen Nissan Micra die Straße Mare de Deu de Port entlang. Es war die einzige Verbindung nach Can Tunis, einem Zigeunerviertel nach Wild West Manier. Richtige Häuser gab es dort keine; nur selbstgezimmete Barracken. Die Straßen waren nicht asphaltiert und trugen auch keine Namen. Die Hausnummerierung schien willkürlich.
Ein schrottreifes Auto ohne Nummernschilder überholte ihn und bremste scharf ab. Ein 12-jähriger Junge stieg aus und kam auf Angel zu.
„Was tust die hier? Brauchst du was?“
Can Tunis war eine Exklave, eingeschlossen zwischen dem großen Containerlager des Hafens und der Stadtautobahn. Kein Bulle konnte hier unerkannt rein. Das machten sich die Dealer zunutze. Can Tunis war ein Supermarkt der Drogen.
Olga wohnte hier mit ihrer Familie und ihren zwei Kindern. Sie war ein hübsches Mädchen. Angel kannte sie von der Arbeit in der Großwäscherei. Angel war dort als Mechaniker beschäftigt und sie arbeitete bei den Wäschetrocknern. Er musste ihr oft aus der Patsche helfen, meist dann wenn sie die Trockner überlud und die Leintücher sich daraufhin in der Luke verhedderten.
Mit der Zeit entwickelte sich eine Freundschaft, manchmal gingen sie zusammen aus.
Sie hatte zwei Kinder. Zwei Jungen im Alter von 9 und 15 Jahren.
„Angel bitte, tu mir einen Gefallen. Geh mit Ramón zum Friedhof und hilf ihm, er schafft es nicht alleine!“
Olga erzählte ihm um was es ging: Der Vater hatte im nahegelegen Cementerio von Montjuic viele geheime Depots angelegt. Er war dort als Totengräber beschäftigt. Sie bat Angel um diesen Gefallen, weil sie nicht wollte, dass jemand aus der Siedlung davon erfuhr.
– Der Friedhof ist mit mehr als 150.000 Gräbern der Zweitgrößte Barcelonas. Die Ausmaße sind gewaltig. Besucher können mit dem Auto hineinfahren, sogar eine Buslinie führt hindurch. Die Grabstätten gleichen Häuserblocks in Miniatur, meist sechs Etagen hoch. Über „Gangways“ die überall herumstehen gelangt man zu den oben gelegen Grabnischen. –
Kurz vor Schließung machten sie sich auf den Weg. Sie betraten einen abgelegenen Teil des Friedhofs und schoben eine dieser herumstehenden Leitern zu einer bestimten Stelle. Das Versteck befand sich ganz oben. Eins von diesen Gräbern, die nicht mehr benutzt wurden; und es gab eine Menge davon. Olgas Vater benutzte mal dieses und mal jenes für seine kriminellen Zwecke. Sein Enkel war immer dabei.
Sie zogen die schwere Platte heraus und legten sie auf der Plattform der Gangway ab. Ramón kroch weit nach hinten und zog einen Seesack heraus. Schließlich verließen sie den Friedhof über einen geheimen Ausgang.
Was war wohl in dem Beutel? Geld aus illegalen Geschäften vermutete Angel und ihm war nicht wohl dabei. Olga gab ihm 300€ und ermahnte ihn zum Stillschweigen.
Ein Jahr später wurde Can Tunis dem Erdboden gleichgemacht, die Bewohner umgesiedelt
© AlfonsX 2020-04-30