Die zweite Wahl am Maskenball

Melanie Hofstätter

von Melanie Hofstätter

Story

Die Steinfließen unter meinen brennenden Fingern sind kalt. Es hätte weniger wehgetan, wäre ich nicht so schnell gerannt. Ich wäre nicht so schnell gerannt, hätte es weniger wehgetan. Die Emotion hat mich ins Stolpern gebracht, das Kleid zu lang für meine Beine, die Schuhe nicht hoch genug. Ich habe sie beide noch, übrigens. Beide Schuhe. Und es ist auch egal, denn da wäre niemand, der ihn mir zurückbringen könnte, wenn ich einen verlieren würde. Ich bleibe einfach sitzen auf dem kühlen Boden. Die bauschigen Falten meines Abendkleides umhüllen mich, halten mich fest. Niemand weiß, dass ich hier bin. Ja, das war schon das Ziel, aber ich hatte doch gehofft, dass ich gesehen werde. Ich taste nach der Karnevalmaske, die meine Augenpartie bedeckt. Und reiße sie mir mit einem Ruck vom Gesicht. Zwei leere Augenhöhlen starren mich an. Bin das ich? Irgendwo spielt leise ein Walzer.

Ich hätte wirklich gerne getanzt, ich hätte mich gerne auf dem polierten Parkett gedreht, bis mir schwindelig ist. Aber als ich den Saal betrat, auf dem Treppenabsatz stand und in die Menge blickte, hat sich niemand zu mir umgedreht, die Musik hat einfach weitergespielt. Bin ich denn keine Erscheinung? Im silber-glänzenden Aufzug, die Locken zu grotesken Bergen getürmt. Ein Rätsel unter einer Maske verborgen? Kein Blick blieb an mir haften, als wäre ich nur das Schlossgespenst, halbdurchsichtig, halbgewöhnlich. Also stand ich dort einfach, inspizierte die Blumen, den Dekor, die Lampen.

Dann endlich sah ich ihn zu mir herüberkommen, die Musik wurde sanfter, wiegte mich in ihren Armen. Er leuchtete förmlich aus der Menschenmasse. Gleich würde er mich erkennen, mich entführen, mich umgarnen. Er lächelte breit unter der schwarzen Maske hervor, wölfisch und neckisch zugleich. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, selbst als er mich bereits passiert hatte. Sein Duft umfing mich noch immer, als er die Hand der jungen Dame, die eben den Saal betrat, in seine nahm, sie auf die Tanzfläche bat. Sie trug Gold, strahlte wie die Sonne selbst, ihr Rock schlug delikate Wellen, als sie sich graziös durch den Raum bewegte.

Tafelsilber. Ich fühle mich wie Tafelsilber. So sehr ich mich auch aufpoliere, beachten wird mich am Ende doch niemand. Und sie ist ein Kronleuchter, immer in der Mitte des Geschehens, weit über allen anderen. Sie blendet mich. Meine Schritte führen mich die Treppen hinauf, ich merke gar nicht, dass ich renne. Ich brauche Luft, die frischeste Luft, ich atme so schwer. Dort ist eine Türe aus Glas, ein Balkon, ich biege ab. Das Kleid ist zu lang für meine Beine. Und nun sitze ich im dunklen Flur, starre auf den hellen Lichtfleck am Boden, den der Vollmond durch das Fenster wirft. Der Mondschein lässt sie glänzen, die Maske in meinen Händen, die leeren Augen kommen mir mit einem Mal abgrundtief vielsagend vor. Ich lege sie ab. Der Walzer verklingt. Und ich stehe auf.

Die kühle Nachtluft streicht über meine nackten Wangen. Die Allee liegt still vor mir, die fröhlichen Klänge verhallen mit jedem meiner Schritte etwas mehr. Meine Absätze sinken in den Schotterweg. Diese Leben ist nichts für mich, sage ich mir, als ich mir die Schuhe von den Füßen streife. Das mit der Maskerade funktioniert doch nur im Märchen.

© Melanie Hofstätter 2024-11-03

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll, Mysteriös, Traurig
Hashtags