Diebstahl im Einzelhandel

Tamara Schellhorn

von Tamara Schellhorn

Story

Es ist kaum zu glauben aber Mitarbeiter machen einen Teil des Ladendiebstahles aus. Das hat verschiedene Gründe. Ich arbeitete in einer Filiale, in der jeden Mittwoch geklaut wurde. Es war auffällig, denn am Mittwoch war der Filialleiter nur bis zum Mittag da. Danach mussten ganz viele Mitarbeiter plötzlich zum Auto und etwas wegbringen. Auffallend war aber, dass der Filialleiter selber, immer wieder mit zwei vollen Armen nach Hause ging.

Ich hatte gefragt, warum gestohlen wird. Die Antwort der Mitarbeiter war klar: “Der Chef hat es verdient! Wer so schlecht mit uns umgeht und uns so schlecht bezahlt.” Ich war verdutzt: “Warum geht ihr dann nicht?” Ich war auch nicht glücklich bei meinem Arbeitgeber aber ich hatte mich schon woanders beworben. Aber meine Kollegen wollten davon nichts wissen. Das System funktionierte und der Geschäftsführer fragte nicht nach. Für mich war dies gruselig. Ich war froh, als ich gehen konnte.

Aber auch die Kunden klauen. In einem Discounter hatte ich mitbekommen, wie die Polizei gerufen worden ist, weil eine Mutter eine Packung Toast klaute für ihren Sohn. Das hatte mir damals sehr weh getan und ich hatte mich tierisch gefreut, als der Polizist dieser Frau das Brot kaufte.

Aber auch höher bezahlte Menschen begehen einen Diebstahl. So klaute eine Kundin einen Schlüsselanhänger in unserem hochwertigen Schuhfachgeschäft. Sie gab viel Geld bei uns aus und nahm einfach einen Schlüsselanhänger mit. Ich wollte sie gerade aufhalten, als mein Leiter mich aufhielt: “Wir brauchen die Kunden und es war nur ein Schlüsselanhänger.” Geschockt blieb ich stehen und dachte an die Mutter mit dem Toastbrot. Ich dachte an die Mitarbeiter, die mehr Dekoration aus dem Laden zu Hause stehen haben, als sie jemals hätten kaufen können und an die Frau mit dem Schlüsselanhänger.

Diese kam am nächsten Tag wieder und schaute mich an: “Den habe ich gestern hier gekauft. Ich möchte ihn gerne wieder umtauschen. Er gefällt mir nicht.” Das Ende vom Lied: Ich nahm einen Anhänger zurück der niemals gekauft worden war und gab Geld heraus, welches ich nie eingenommen hatte. All das, nur um keine Kunden zu verlieren.

Wegschauen, wenn die Mitarbeiter klauen, nur um nichts ändern zu müssen. Die Polizei rufen, wenn eine Familie hungert.

Mein Herz zerbrach in diesem Moment.

Ein Kaufmann hat eine kaufmännische Betrachtungsweise. Das heißt, ich lernte immer an meine Wirtschaftlichkeit zu denken. Und traurig ist es, dass ein Schlüsselanhänger, im Gegensatz zu teuren Schuhen, kein Verlust für mich war.

Ein Moment, in dem mir klar wurde, wie die Wirtschaft gegen Menschlichkeit arbeitet. Eine Lösung habe ich dafür leider nicht.

So kann ein Schlüsselanhänger, einen ganzen Missstand aufdecken.

© Tamara Schellhorn 2023-01-05

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