von Anatolie
Als wir dieses seltsame Dorf und die unfreundlichen Gastgeber hinter uns gelassen hatten, steuerten wir das Highlight unserer Rundfahrt an: den Muttertempel Pura Besakih, den gröĂten und heiligsten aller Tempel auf Bali. Die weit verzweigte Anlage bestand aus unzĂ€hligen Schreinen und war ĂŒberwĂ€ltigend in ihrem AusmaĂ. Blockartig ĂŒbereinander gesetzte âSchindelnâ und spitz zulaufende TĂŒrmchen muteten wie riesige zackenförmige Schachtelhalme an, der ganze kolossale Bau wirkte ein wenig beklemmend in seiner monumentalen Wucht, auch wenn viel Blumenschmuck dem dĂŒsteren GemĂ€uer etwas Leben und Farbe verlieh. Bildnisse von fremden Gottheiten in einschĂŒchternden Posen flankierten zu beiden Seiten viele Stufen, die bis zum Eingang ins Allerheiligste hinauffĂŒhrten. Menschen in weiĂen und bunten Sarongs pilgerten die Treppen rauf und runter; das Innere der StĂ€tte blieb fĂŒr unsere Augen jedoch verschlossen, als NichtglĂ€ubige durften wir lediglich die AuĂenansicht genieĂen.
Bei der Pforte hatten sie uns gefragt, ob wir unsere Menstruation hĂ€tten oder sonstige offene Wunden am Körper. Das Betreten der Anlage und ihrer GĂ€rten war nur unversehrten Menschen gestattet. In den Tempeln darf kein Blut vergossen werden, deshalb mĂŒssen auch Frauen, die die Monatsblutung haben, drauĂen bleiben und auch an rituellen Handlungen dĂŒrfen sie wĂ€hrend dieser Tage nicht teilnehmen. Paula und ich hatten einen ungĂŒnstigen Zeitpunkt gewĂ€hlt, denn ihr Zyklus hatte soeben angefangen, meine âWocheâ lief mit diesem Tag gerade aus, im Grunde war es keine groĂe Sache mehr. Wir wussten ĂŒber die Sitten Bescheid und hatten dementsprechend vorgesorgt. Wir wollten nicht den Ort entweihen, keinesfalls aber wollten wir uns diese SehenswĂŒrdigkeit entgehen lassen. So sagten wir nichts, dachten aber, es sei ok, wenn wir da ein bisschen tricksten. Wozu gab es Tampons? Die Götter wĂŒrden sicher ein Auge zudrĂŒcken wenn von der Blutung nichts nach auĂen drang. Beim Eintritt bekamen wir je einen Sarong und ein Tempeltuch ausgehĂ€ndigt. Es galt als Zeichen der Ehrfurcht gegenĂŒber den Gottheiten, diese zu tragen. In einem der zahlreichen Höfe bewegte sich eine Gruppe Frauen in schillernden GewĂ€ndern und mit goldenem Geschmeide im Haar zu mystischen fernöstlichen KlĂ€ngen. Die Melodie dieser Tempelzeremonie habe ich lĂ€ngst vergessen, aber ich kann mich an dieses GefĂŒhl der Entgrenzung, das ich dabei erlebt habe, noch ganz gut erinnern.
Nachdem wir ĂŒber Stunden diese Tempelwelt erkundet und all die faszinierenden EindrĂŒcke in uns aufgesogen hatten, ohne zu vergessen, den Göttern fĂŒr ihre Nachsicht zu danken, fuhren wir schlieĂlich weiter. In einem abgelegenen Waldgebiet wollten wir zwei Tage bleiben bis es wieder zurĂŒck nach Kuta gehen sollte. Das schicke Hotel war eine gepflegte Oase inmitten eines Nationalparks. Rundherum gab es nichts auĂer einer exotischen Wildnis und einem feinen beach, wo keine lĂ€stigen StrandverkĂ€ufer lauerten. Wir gönnten uns einmal diesen Luxus, auf einer chilligen Terrasse fein zu essen und dabei zuzusehen, wie die Sonne als roter Feuerball hinter den Palmen versank. Wir waren irgendwo im Nirgendwo, umgeben von Geckorufen, Unbeschwertheit und Genuss. Und gerade an dem wundervollen Ort, wo wir uns fĂŒhlten wie in einem Paradies, nahm das Desaster seinen Lauf.
© Anatolie 2025-02-28