Sie hatte bereits eine entsetzlich lange Zeit geschlafen, doch nun wurde sie nicht von der Sonne geweckt, sondern von einem überwältigenden Gefühl der Panik, das ihre Wirbelsäule entlang kroch. Ihr Herz begann zu rasen, während ihre Haut kalt und ihre Gliedmaßen taub wurden. Sie fühlten sich an, als würden tausende Nadeln in ihre Haut stechen. Nadeln. Eine entfernte Erinnerung schlich sich in ihre Gedanken, wurde aber von zwei groben Händen vertrieben, die sich einen Weg an der Seite ihres Körpers bahnten und ihre Hüften zielstrebig in das Stroh der Matratze pressten.
Ihr pinkes Kleid flatterte anmutig im Wind, als sie fröhlich durch den dichtbewachsenen Wald lief. Dabei taumelte sie zwischen Traum und Wirklichkeit. Plötzlich spürte sie ein Gewicht auf ihrem Körper und ihre Hände wurden nach unten Gedrückt. Ihre Gelenke begannen zu schmerzen und langsam verstand sie, was vor sich ging. Sie musste wahrhaftig lange geschlafen haben, denn es war schrecklich schwierig, ihre müden Augen zu öffnen – und ein Teil von ihr wollte gar nicht. Noch konnte sie so tun, als wäre alles nur ein Traum gewesen. Ihre Gedanken begannen abzuschweifen, wie Wolken an einem windigen Morgen. Sie war zurück im Wald und ihr pinkes Kleid wehte noch immer im warmen Wind, der ihr sanft über die rosigen Wangen strich. Ein eigenartiges Gefühl begann an ihren Gedanken zu zupfen und der feine Stoff ihres Kleides verfing sich in den Dornen, die ihre weiche Haut durchbohrten und schmerzende Kratzer auf ihrem Körper hinterließen. Der warme Wind wurde zu einer heulenden Böe und es wurde immer schwieriger, die Mauern ihres Traumschlosses aufrecht zu erhalten.
Nachdem er sich in ihr Ergoss, presste er einen letzten, kalten Kuss auf ihre Lippen. Die letzte Mauer ihres Schlosses brach zusammen, der Wald war plötzlich weit entfernt und sie öffnete schließlich ihre Augen. Doch bevor sie ihren Körper dazu bringen konnte zu reagieren und bevor ihre Stimme sich erinnern konnte, wie man schrie, kamen die Schlossbewohner hereingestürmt. Lächelnde Diener begrüßten sie, die Königin weinte vor Freude und der König warf überglücklich seine Hände empor! Das gesamte Schloss war aufgewacht und machte weiter, als wäre nichts geschehen. Als sie lernten, dass sie wegen des Prinzen aufgewacht waren, fielen sie vor Dankbarkeit auf ihre Knie und beschenkten ihn reich.
Die Prinzessin heiratete den geliebten Prinzen. „Meine müden Gedanken mussten sich die schrecklichsten Dinge vorgestellt haben“, versicherte sie sich und sprach mit niemandem darüber. Was könnte sie auch sagen? Jeder liebte den Prinzen und wer würde ihr glauben, wenn sie doch selbst halb sicher war, dass sie es nur geträumt hatte. „Oh, so war es bestimmt!“, und so begann sie, sich selbst die Schuld dafür zu geben, solch schreckliche Gedanken überhaupt zu denken und blickte ihren Prinzen stets mit liebevollen Augen an. Doch immer, wenn der Prinz sie berührte, fühlte sie kalte Panik ihre Wirbelsäule hinabsausen. Und sie versuchte sich nicht an das Geheimnis zu erinnern, dass sie tief in ihrem Herzen vergraben hatte. Immer, wenn er sie berührte, flüchtete sie in ihr Traumschloss. Dort fühlte sie, wie der Wind ihr pinkes Kleid flattern ließ und lief an weit entfernte Orte.
© Viktoria Bernatzky 2024-11-21