Dornröschenschlaf

Monika Bayerl

von Monika Bayerl

Story
Salzburg

Hinter dem Parkplatz des Augustinerbräus führen die Stufen zur Müllner Kirche und weiter auf den Mönchsberg hinauf. Hier oben hat meine Mama als Kind Ski fahren gelernt, ganz ohne Lift und Gondel. Der Mönchsberg war für die Stadtkinder ein einziger Spielplatz voller Freiheiten. Im Sommer tanzten sie Reigen mit Blumenkränzen, im Winter sausten sie auf der Rodel um die Wette.

Die kalte Winterluft streift meine Finger. Bis ich auf Touren komme, packe ich meine Hände lieber in die warmen Jackentaschen ein. Beim Wegweiser neben der Monika-Pforte nehme ich die Abzweigung auf den Panoramaweg Richtung Johannisschlössl. Mit einem Mal tauche ich in eine andere Welt ein. Linkerhand säumt der Wald meinen Pfad, Totholz liegt auf den braun verwelkenden Blättern. Ein Vogerl zwitschert. Die Bäume haben ihr Laub abgelegt und den Blick auf die Häuser Richtung Nordwesten freigegeben.

Das Ratespiel beginnt. Den Flughafentower und den Maxglaner Kirchturm erkenne ich sofort, die Stieglbrauerei und das geschwungene Gebäude der Chirurgie West ebenfalls. Ich kann in die Gärten und auf die Dachterrassen unbekannter Bewohner spähen. Auf einem Flachdach sind Flämmarbeiten im Gange. Eine blitzblaue Hausfassade leuchtet mir entgegen. Das stille Becken eines marmornen Brunnens liegt kreisrund zwischen Gebüsch und Grasfläche. Ultramoderne Fensterfronten schmiegen sich an die Bergwände in der Riedenburg. Zwischendurch knacken die Bucheckern unter meinen Schritten.

Wenige Menschen begegnen mir, ein Pärchen mit Hund, zwei junge Frauen – ich tippe auf Studentinnen – und eine Handvoll Schüler, die sich unterhalten und zwei Jogger mit reichlich Abstand. Im Hintergrund der schneegekrönte Untersberg, von Nebelschwaden halb verdeckt. An den Stämmen der entlaubten Bäume windet sich üppig der Efeu, in den obersten Zweigen baumeln Büschel von Misteln. Den Holunderstrauch erkenne ich auch ohne Laub an seinem Stamm und die Pfaffenhütchen hängen halb vertrocknet gleich daneben.

Im Garten der Pallottinermönche sitzt eine dreifarbige Katze. In den Zweigen schaukeln papierene Lampions und Meisenkugeln für die hungrigen Piepmatze. Auf dem grünen Gartentor sitzen kleine Engelsfiguren und begrüßen mich. Die Natur hat sich zur Ruhe gelegt. Mir wird bewusst, wie still es ist. Unter der grünen Abdeckung überwintert wahrscheinlich das Gemüsebeet.

Die wenigen Geräusche der Stadt klingen dumpf und watteweich. Meine Runde bringt mich retour zum Schlosshotel Mönchsstein. Von dort sieht man auf die Altstadt und die Neustadt, auf die Salzach, den Kapuzinerberg, die Festung und den Dom. Wäre da nicht der unablässig rollende Verkehr, könnte man meinen, Salzburg sei in einen Dornröschenschlaf gefallen.

Es fehlen die Touristen, die Gäste, die Urlauber, die Städtebummler und Besucher aus der Ferne. Am Kai herrscht gähnende Leere. Nur ein Bagger türmt geschäftig Schotter am Flussufer auf. So still kenne ich meine Heimatstadt nicht.

© Monika Bayerl 2023-01-28

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Reflektierend, Entspannend
Hashtags