von FrauXYZ
Ich lasse anderen Menschen gerne den Vortritt. Ich bin gerne dabei, wenn sich jemand seinen Wunsch erfüllt und toleriere es, wenn meine Bedürfnisse dadurch in den Hintergrund gerückt werden. Ich freue mich, wenn jemand einen neuen Lebensschritt beginnt und akzeptiere es, wenn meiner unverändert bleibt. Ich möchte, dass sich jeder in meiner Umgebung wohl fühlt, es soll jeder zufrieden sein, angefangen von Kleinigkeiten bis zu großen Gedanken. Ich umgehe Situationen, die für mein Gegenüber unangenehm sein könnten und nehme dafür für mich Aufwände in Kauf. Ich warte auf meinen Freund, bis er sich nach Mittag aus dem Bett erhebt, obwohl ich gerne einen Ausflug machen würde. Ich warte auf diverse Rückrufe, ich warte auf ausstehende Antworten, damit ich weitere Entscheidungen treffen kann. Ich nehme längere Autowege in Kauf, damit der andere nicht zuviele Kilometer fahren muss, dafür wird mir mein Tag dann zu kurz. Ich würde gerne die Welt sehen, aber meine Umgebung meint, dass es wegen Corona zu gefährlich sei. Ich warte auf bessere Arbeitsbedingungen, obwohl sich das letzte Jahr nichts daran geändert hat. Gefühlsmäßig warte ich bei allem ein bisschen zuviel. Ich warte, bis es bessere Zeiten gibt, ich warte, bis sich die Situation verändert. Ich warte, bis sich Gefühle und Wünsche ohne Veränderungen erfüllen oder ich warte eben so lange, bis sie sich in Luft auflösen. Sollte sich ein Wunsch nicht erfüllen, dann bin ich eben selber schuld, weil es das “Schicksal” eben nicht wollte. Ich rede mir die Situation dann schön.
Ich warte und warte. Auf was eigentlich?
Manchmal erwache ich aus meinem Dornröschenschlaf des Wartens und erkenne, dass ich zu viel und zu oft zu lange gewartet habe und meine eigenen persönlichen Bedürfnisse vergesse. Jetzt befinde ich mich in einem Wachzustand. Dieser Zustand sorgt für Verwunderung, ja gar für Irritation und Ablehnung. Mir wird gefühlmässig ein schlechtes Gewissen eingeredet, mir wird nach Wunschäußerungen eher abgeraten als unterstützt. Es wird nicht auf meine Wünsche eingegangen, sondern mit deren Lebenseinstellungen verglichen, ob es harmonieren könnte. Mehr nicht.
© FrauXYZ 2022-01-10