von Vivienne Bieri
Die Freunde waren in ihrem zweiten Jahr an der Sekundarschule, als Hamza seine Diagnose bekam. Er hatte sich lange Zeit schlecht gefühlt, schwach, nicht mehr wie er selbst. Nach Untersuchungen beim Arzt kam die Nachricht, die keiner hören wollte: Hamza hatte Krebs.
Leukämie, um genauer zu sein, und von da an folgte, was in solchen Situationen oft der Fall ist: eine ewige Aneinanderreihung von Behandlungen, Krankenhausaufenthalten und Arztbesuchen. Seine Freunde ließen Hamza nie im Stich. Seine Zwillingsschwester, Andrej und Koko waren an seiner Seite, hielten seine Hände und brachten ihn selbst dann zum Lachen, wenn ihm nicht danach zumute war.
Und noch jemand erhellte seine Tage, die auf einmal so düster erschienen. Ein Mädchen, nur ein Jahr jünger als er, mit grün blauen Augen wie das Meer: Emma. Er hatte sie im Krankenhaus kennengelernt, und trotz ihrer Schüchternheit hatte sie ihn angesprochen, nachdem sie bemerkt hatte, wie ängstlich er war.
Von da an wurde auch sie Teil der Truppe, der Gemeinschaft, und passte wie der Deckel auf den Eimer. Sie war das Stück, das noch gefehlt hatte. Sie war der Ruhepol, die Vernunft und Zuversicht, die pure Fantasie in Person. Jeder kannte und liebte Emma; ständig knallrot geschminkte Lippen, zu große Shirts und ein etwas seltsames Lachen, das täglich durch die Krankenhausflure hallte. So trafen sich die Freunde regelmäßig an den Krankenbetten und aßen Snacks, die Emmas Oma fast täglich für sie reinschmuggelte, spielten Kartenspiele und zogen sich einen Blockbuster nach dem anderen rein.
Ein ganzes Jahr verging, von Sommer zu Sommer. Dutzende Hörbücher und gesehene Filme – und Hamza ging es deutlich besser. Die Behandlungen hatten angeschlagen. Er befand sich auf dem Weg der Besserung.
Emma, auf der anderen Seite, verlor den Kampf und starb noch, bevor die Sommerferien zu Ende waren. Es war ein heißer Tag im Juli, die Sonne strahlte hell; keine Wolke war am Himmel.
Trotzdem war sie fort, von einem Atemzug auf den anderen, und der Scherbenhaufen, den sie hinterließ, sollte für viele Jahre anhalten und die Freundschaft der jungen Truppe in ihren Grundfesten erschüttern. Ein Fundament, das mit Rotz und Wasser in sich zusammenfiel, als wäre es niemals dagewesen.
© Vivienne Bieri 2022-06-16